Die tote Hummel unter der Kirchenbank

Die tote Hummel unter der Kirchenbank
warum Rüdi immer in die Kirche geht

Rüdi ist gekommen, sie hat einen Weg über den Friedhof, wo Papa liegt und immer noch seufzt - nur sonntags lacht er. Sie ist vorbei an der Nachbarin Elsa, die im Treppenhaus wacht und den Rädern die Luft abdrückt, wenn sie zu lange stehen, sie ist vorbei an Marguerita, die ins Haus gezogen ist, wer weiß woher - nachts hört man das Trappeln ihrer nackten Füße im Takt.

Auch Funny ist da, der mit den verdrehten Wörtern, der reimen kann ohne Anlauf. Ich geh an den Fluss sagt er - auch wenn ich nicht muss. Rüdi mag Funny, und beide sitzen in der Kirche nebeneinander, aber nicht direkt, sondern zwischen ihnen der Mittelgang, damit es knistert, wenn sie sich ansehen. Das mögen sie, giecksen und schauen gleich wieder weg.

Auch Ahmed ist gekommen, der mit dem Schimmer in den Augen, die haben gesehen, was man im Leben nicht sehen soll. Aber nun ist es so, und er kommt immer wieder. Und bald tauft ihn die Pfarrerin, weil er es wollte und weil er es satt hat, das von gestern, das alles, satt bis zu den Augen.

Auch die alten Schmitzes sind da, sie kommen nicht oft, sie helfen dem Sohn vom Piet beim Rechnenlernen und der Marguerita beim deutschen Sprechenlernen, und Rüdi war auch schon bei ihnen, als ihr Hund morgens tot im Garten lag. Da kann man weinen und bekommt Kakao.

Die Pfarrerin kommt auch gleich. Sie hat lange, schöne Haare, so wie aus Bronze, sie steckt sie nicht hoch, sie lässt sie laufen. Das hilft schon, wenn man sie sieht in ihrem großen Schwarzen.

Da denkt man, es tut sich was mit den Leibern in der Kirche.

Es riecht ein bisschen wie in Piets Keller hier, wo nie gelüftet wird. Eine Hummel liegt rücklings unter der vorderen Bank.

Hinten an der Empore die Holzengel sind nur zu sehen, wenn man sich mittendrin umdreht, aber dann gucken alle und man guckt schnell wieder nach vorn.

 

Meike ist da mit ihrem neuen Roller, den sie mitnehmen darf in die Bank, PapaMama stehen brav und senken die Köpfe, Meike schaut sie an, schaut auf den Roller und senkt den Blick, aber eher auf die roten Reifen. Sie sind so prall, und wenn man sie drückt oder klopft, schubsen sie zurück, das läßt die Finger zittern. Jetzt auch.

 

Der Orgel-Walter hat sich nach vorn gesetzt mit seinem Akkordeon. Er lässt die Luft ohne Töne durch die Öffnungen seufzen, die Finger halten sich vom Griffbrett fern. Er wiegt sich und man denkt, er säße in der Astgabel im Wind. So tut er und die vorne werden schon ruhig, die Kleinen wiegen sich mit, die Frischlinge kichern. Er lässt ihn atmen den bauschigen Kasten, die Glocken schweigen dazu.

Jetzt kullert und krächzt seine Stimme eine Melodie hervor, zum Atmen dazu, zum Atmen dazu.

Rüdi schaut zu Funny, Funny summt, also summt Rüdi, dann die Schmitzes und dann alle. Ja, jetzt alle.  Kein Wort, nur Meike, die sich mit ihrem Roller auf den Weg macht durch den Gang, her und hin, leise tretend im Takt des Gesangs.
 

Die Pfarrerin sieht sich vorbeiziehen an den Häusern, aus denen Licht und Scham herausfällt, Ahmed sieht seine Mama die Katze bürsten, Funny sieht Rüdis offenen Mund, die Schmitzes sehen der Meike zu, und die Eltern von Meike haben die Augen versiegelt.

So ist das heut morgen in der Kirche mit der Hummel, den alten Bänken und den Holzengeln, die man nie sieht, und man fragt sich - was ist das hier?

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