Ein Pfarrkonvent. Innerhalb der Andacht fragte ich statt einer Predigt die anwesenden Kolleg*innen: „Können Sie sich vorstellen, in der Kirche Liebe zu machen?“
Umgehend stand ein Emeritus auf: „Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich würde das gern mal erleben.“ Schweigen, Wegducken, Kichern. Ich schaue ihn an, er mich. Wir verstehen uns.
Eine junge Kollegin steht auf: „Also mal im Ernst: Es muss doch Bereiche geben, wo Gott und Kirche nicht immer dabei sind. Es gibt schließlich noch eine Intimzone.“ Stemmt die Hände in die Hüften, nickt sich selber zu und setzt sich. Einige Kollegen applaudieren.
Ich stelle mir den Emeritus vor. Wie er behutsam die Kirchentür öffnet und seine Freundin hereinwinkt. Seine Augen leuchteten beim Aufstehen im Konvent.
Ich stelle mir die junge Kollegin vor. Wie sie alle verfügbaren Schlösser anwendet. Weil sie es satt hat von einem moralisierenden Gott beobachtet zu werden.
Es geht ja hier nicht um ‚schöpfungsgemäße Fortpflanzung‘, also um etwas vermeintlich ‘Anständiges’, ‘Gottgewolltes’. So hätten es die Rechtschaffenen gern. Es geht um Lust. Mehr noch: Um Lust in der Kirche. Da, wo man sonst züchtig hockt, nicht rechts, nicht links guckt, schon gar nicht nach hinten, niemanden länger als fünf Sekunden fixiert. Wo alles Wichtige vorn ist, und das besteht aus Worten und dem großen Schwarzen, das nicht gucken lässt.
Wo man den Unterleib abschirmt - diese Ablenkung vom Eigentlichen.
In diesem Ambiente übereinander herfallen zu wollen liegt eigentlich sehr nah. Deswegen war den Priestern ja auch geboten die Liturgie abzulesen. Damit sie beim Dauer-Zelebrieren nicht aus Versehen aussprechen, was ihnen noch so in den Sinn kommt.
Ist Gott so trockengelegt?
Was, wenn wir uns jahrhundertelang geirrt hätten - immer auf der Schleimspur der Schlange?
Wenn sie es war, die sagte, wir sollten uns nackt schämen - und gar nicht Gott?
Wenn die kirchlichen Ratgeber, die bis heute in die Schlafzimmer regieren möchten, die eigentlichen Ketzer wären?
Was, wenn die unverschämte Lust Teil göttlichen Lebens wäre?
Wenn bei der Liebe und ihrem Schaukeln und Atmen eine ähnliche Innigkeit einkehrte wie bei einer Gebets-Litanei. Wenn die Liebenden hineinglitten in ihre Zwischenwelt wie in einen 16-strophigen Choral, der nicht enden mag. Wenn sie aufeinander achten wie Menschen im Gottesdienst bei der Fürbitte auf ihre Lieben. Wenn sie schweigen und sich ansehen, so wie man in der Kirche angesehen sein möchte: Weil du (Gott) mich anschaust, werde ich schön.
Jenes arabisch-hebräische nafas – näfäsch – Atmen, Seufzen, Stöhnen - Kehle, Seele. Der Hauch, der zu Beginn aus Erde eine Antwort herausatmete. Diese Lust Gottes, es möge uns geben und wir möchten in ihm bleibend konspirieren, mitatmen.
Die göttliche Trauer, wenn wir uns abwenden von Gott und uns selbst. Wenn der Sex zum Werkzeug wird oder zur Waffe.
Wenn im Zeugen jeden neuen Menschlebens das Wasserzeichen der Lust sichtbar würde. Und genau das genetisch immer die erste Figur wäre: Die Freude. Dann erst folgten Schmerz und Schutz. Und das Angebot der Korrektur - die Geburt der Versöhnung.
Was geschähe, wenn wir eingewoben wären in einen Gott, in eine Kirche, in der wir uns miteinander so lange an diesem Leben freuen, bis wir die andere Communio kosten und ausatmend erlöst aus der Welt gehen. Wenigstens in der Fantasie.
Ein Aufatmen ginge durch die Welt. Man könnte das Evangelium schmecken, riechen, tasten, lecken. Man könnte der Kirche eventuell wieder zuhören, wenn sie den Mund öffnet um über Sexualität und Lust zu sprechen.
Niemand müsste Gottes Fratze aussperren - die Schlange hätte verloren.
Kleine, entwicklungsbedingte Gottheiten würden ersetzt.
Und Liebende bekämen einen Schlüssel für ihre Ortskirche.