Kindgerechter Zugang zu queeren Lebenswelten?

Drag-Queen Margot auf der Skipiste.
Wolfgang Schürger
Drag-Queens rufen Aufmerksamkeit hervor - auch auf der Skipiste.
Streit um Lesung in München
Kindgerechter Zugang zu queeren Lebenswelten?
Der Streit um eine Drag-Lesung für Kinder in München hat Kreise weit über die Stadt hinaus gezogen. Wolfgang Schürger hat einen schwulen Grundschullehrer gefragt, was er von der Veranstaltung hält.

Mit der Lesung wollen sie mitnehmen „in farbenfrohe Welten, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für euch bereithält und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten!“ So heißt es in der Ankündigung einer Lesung der Münchner Stadtbibliothek am 13. Juni 2023 für Familien mit Kindern ab vier Jahren. Gelesen werden Geschichten „von den unterschiedlichsten Held:innen: Jungs in Kleidern, Prinzessinnen mit ihrem eigenen Willen, den Farben Blau und Rosa, von Kaninchen und Füchsinnen, dem Entdecken der eigenen Freiheit und vielem mehr“.

Eine kindgerechte Hinführung an die Welt der Geschlechter- und Gendervielfalt also? Konservative Teile der Münchner Stadtgesellschaft und darüber hinaus laufen seit Tagen Sturm gegen diese Lesung, ja fordern sogar ihr Verbot. Der Grund: Vorleser:innen sind die Trans-Autorin Julana Gleisenberg, die Drag-Queen Vicky Voyage und der Drag King Eric BigClit. Vor allem an dessen Künstlernamen scheint sich die Kritik zu entzünden, denn er beinhaltet ja die englischsprachige Bezeichnung eines Teils des weiblichen Genitals. Von „Frühsexualisierung“ sprechen die Kritiker:innen, aber auch von „Kindswohlgefährdung“.

Vicky Voyage, Eric BigClit, aber auch die Stadtbibliothek selbst halten diese Kritik für völlig überzogen und halten an der Veranstaltung fest: Im Interview mit der Berliner Morgenpost betont Vicky, dass es sich um kindgerechte Geschichten handle, „Geschichten, die zeigen: man sollte Menschen nicht in Schubladen pressen, sondern ihnen gestatten, sie selbst zu sein – egal ob man jetzt queer ist oder nicht. Die zeigen, es ist okay, anders zu sein und es ist okay, wenn jemand anders ist“. Vicky selbst hat schon mehrfach Lesungen für Kinder und Erwachsene gemacht – und durchweg positive Rückmeldung bekommen, wie sie betont. Allerdings wähle sie auch immer bewusst kindgerechte Kleidung, zum Beispiel Feen- oder Prinzessinnenkostüme. Kinder würde sie dann vor allem als diese Kostümfigur ansprechen: „Wenn ich als Schneekönigin unterwegs bin, dann sind das Fragen wie, kannst du wirklich zaubern, wohnst du in einem Eisschloss, wie alt bist du? So als ob ich eine 2000-Jahre alte Legende wäre. Kinder sehen nicht unbedingt einen Mann hinter dem Drag.“

Genau hier setzt dann allerdings auch die Kritik derer an, die selber zur queeren Community gehören oder ihr aufgeschlossen gegenüberstehen. Ein guter Freund, selber schwul und Lehrer an der Grundschule, kommentiert: „Die Stadtbibliothek und die Drags meinen, dass sie durch das Auftreten von Drag-Queen und Drag-King die Botschaft der gelesenen Bücher noch verstärken – aber für Kinder dieser Altersstufe ist das eine Überforderung: Die sehen das Fabelwesen oder den Clown, der ihnen etwas vorliest – und können sich entweder auf den Inhalt des Buches oder auf die Person konzentrieren, die vorliest.“ Viel sinnvoller wäre es daher aus der Sicht meines Freundes, wenn Drag-Queen und Drag-King bei so einer Veranstaltung dann von sich und ihrem Leben erzählten.

Der Kinder- und Jugendtherapeut Christian Lütke geht im Interview mit dem Münchner Merkur in seiner Kritik noch einen Schritt weiter: „Aus kinder- und jugendtherapeutischer Sicht finde ich das zu früh. Kinder beschäftigen sich bis zum 10. Lebensjahr mit Papa, Mama, Spielen und Freunden – erst mit 11, 12 Jahren treten sie in die Pubertät ein. Erst dann beschäftigen sie sich auch mit Sexualität und Geschlechteridentität.“ Könnte es also sein, dass tatsächlich das pädagogische Konzept der Veranstaltung zumindest an der Zielgruppe der ganz jungen Kinder vorbei geht und Kinder im Grundschulalter von der Komplexität der Botschaft überfordert sind?

Mein Freund, der Grundschullehrer, findet auch den gemeinsamen Auftritt von Drags und Transfrau pädagogisch unglücklich: Drag sei eine Kunstform, eine (schau-)spielerische Identität – in der ich von kleinen Kindern eben als Clown oder Fee wahrgenommen werde – als Person, die sich in ein Kunstwesen verkleidet. Bei Trans-Menschen aber gehe es um (neue) Geschlechter-Identität, die Transition sei kein Schauspiel, sondern Weg zur Identitätsfindung. Schon für Erwachsene sei es mitunter schwierig, diesen Unterschied zu verstehen. „Natürlich werden die Kinder von der Fee begeistert sein – ihre Schlussfolgerung ist dann, dass auch die Transfrau ein Mann ist, der sich nur verkleidet hat.“, meint mein Freund.

Also: Kindswohlgefährdung? Ganz sicher nicht, aber vielleicht pädagogische Überforderung. Frühsexualisierung? Wohl auch nicht, weil Kinder hinter den Drags (noch) nicht das Spiel mit den Geschlechteridentitäten sehen werden, sondern Fabelwesen, die ihnen bunte Geschichten vorlesen.

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