Eine Frage des Gewissens?

Eine Frage des Gewissens?
Foto: Matthias Albrecht
Immer mehr Landeskirchen segnen Menschen, die in einer homosexuellen Beziehung leben. Gleichzeitig wird Pfarrer_innen das Recht zugestanden, diese Segenshandlung zu verweigern. Eine widersprüchliche Praxis.

In Berlin herrscht Freude. Zu Recht. Am Samstag beschloss die Synode der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), künftig Menschen, die in homosexuellen Beziehungen leben und eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind, zu trauen. Eine völlige Gleichstellung zwischen homo- und heterosexuellen Partner_innenschaften ist jedoch noch nicht vorgesehen, denn Pfarrer_innen wird weiterhin das Recht eingeräumt, die Trauung lesbischer oder schwuler Liebender zu verweigern. Auch andere Landeskirchen, die Trauungen oder Segnungen gleichgeschlechtlich Liebender anbieten, wie etwa die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) oder die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) haben ähnliche diskriminierende Sonderregelungen erlassen.

Pfarrer_innen haben in allen Landeskirchen das Recht, sowohl Eheleuten als auch eingetragenen Lebenspartner_innen eine Segnung aus schwerwiegenden Gründen zu verweigern. Dies ermöglicht den Geistlichen, keinem Paar den Segen zusprechen zu müssen, dem das "Traugelöbnis kein ernstes Anliegen vor Gott ist", wie es in der Lebensordnung der Evangelische Kirche im Rheinland (EKIR) heißt. Wenn Menschen also nur deshalb nach dem Segenszuspruch verlangen, weil dieser eben zum Gottesdienst gehört und der Gottesdienst das folkloristische Highlight des Hochzeitstages werden soll oder bekennende Atheist_innen den Eltern eine Gefallen tun wollen, dann können Pastor_innen sich verweigern. Gegen diese Möglichkeit ist nichts einzuwenden, im Gegenteil. Bei den Sonderregelungen der EKBO, der EKHN, der EKvW und weiterer evangelischer Landeskirchen geht es allerdings um etwas Anderes. Hier darf Menschen ohne das Ansehen der Person, einzig und allein aufgrund ihres Geschlechts, der Segen vorenthalten werden. Das bedeutet, dort geht es nicht um eine Entscheidungsbefugnis im Einzelfall, sondern um eine Ermächtigung zur pauschalen Ablehnung homosexuell Liebender.

Paulus sagt im dritten Kapitel des Briefes an die Galater_innen über das Volk Gottes: "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus" (Gal 3,28). Die Beurteilung von Menschen nach ihrer Geschlechtszugehörigkeit widerspricht demnach dem Evangelium. Wir sollen andere nicht primär als "Frauen" und "Männer", sondern als unsere Geschwister erkennen. Deshalb ist die Erlaubnis, dass Pfarrer_innen die Segnung von Personen in Eingetragener Lebenspartnerschaft verweigern können nicht mit dem Reich Gottes vereinbar. Es wäre gerade so, als ob auf der Grundlage der Schriften des Alten Testaments Geistliche bekunden dürften, sie trauten keine Menschen, die unterschiedlichen Ethnien angehörten oder verschiedene Hautfarben haben. Würde ein_e Pastor_in das erklären, müsste sie_er wahrscheinlich aus dem Dienst scheiden.

Oft heißt es, Pfarrer_innen müssten Menschen in homosexuellen Beziehungen aus Gewissensgründen nicht segnen, diese Geistlichen machten hier von einem Gewissensvorbehalt Gebrauch. Doch kann das wirklich legitim sein? Das Wort Gewissen meint laut Duden das "Bewusstsein von Gut und Böse des eigenen Tuns [. oder, das] Bewusstsein der Verpflichtung einer bestimmten Instanz gegenüber". Das bedeutet für den hier diskutierten Fall, dass die_der Pastor_in nicht nur sagen kann, dass eine Segnung von Menschen in gleichgeschlechtlichen Verbindungen nicht gut, vielleicht sogar böse und nicht gottgefällig ist, sondern in Ausübung ihres_seines Amtes auch danach handeln darf. Dies kann selbstverständlich die Meinung einer einzelnen Person sein. Die Frage, die diese Person aber an sich richten muss, ist, ob sie mit dieser Position noch ihren Dienst als Seelsorger_in in der Evangelischen Landeskirche verrichten kann. Und auch die Evangelischen Landeskirchen müssen für sich diese Frage beantworten: Können Vertreter_innen solcher Einstellungen das Hirt_innenamt ausüben, in dem sie ja nicht nur für heterosexuelle Menschen in seelsorglicher Verantwortung stehen?

Lesbische und schwule Paare werden mit dem Verweis vertröstet, dass sie ja im Falle der Ablehnung ihrer Segnung ein Anrecht darauf haben, an andere Pastor_innen weitergeleitet zu werden. Das ist für das konkrete Paar selbstverständlich positiv, denn wie schon Rainer Hörmann am Montag in diesem Blog richtig bemerkte: "Wer will schon von einer Pfarrerin, einem Pfarrer getraut werden, die/der einen nicht leiden kann?" Trotzdem bleibt die Frage, ob diese Pfarrer_innen weiter in Ausübung ihres Amtes diskriminieren dürfen. Die Landeskirchen weichen der Frage aus und beantworten sie durch dieses Ausweichen mit einem klaren "Ja".

Von der hier problematisierten Sonderregelung, dem sogenannten Gewissensvorbehalt, geht letztlich die Botschaft an die Pastor_innen aus, die zur Segnung nicht bereit sind: "Ihr habt in dem Vertrauen Euren Dienst begonnen, dass die Diskriminierung homosexueller Menschen und ihrer Partner_innenschaften, wie sie zur Zeit Eures Dienstantritts stattgefunden hat, bis zum Ende Eures Dienstes unverändert bleibt, dieses Vertrauen soll nun nicht erschüttert werden, daher dürft ihr in Eurem diskriminierenden Handeln fortfahren." Dieses Signal kann und darf von einer Landeskirche, die der Diskriminierung homosexuell Liebender ein Ende machen will, aber nicht ausgehen.

Ich bin nicht dafür, Geistliche, die Menschen in Eingetragener Lebenspartnerschaft nicht segnen wollen, aus dem pastoralen Dienst zu entfernen. Es wäre ein unbarmherziger Akt ihnen ihren Beruf und ihre Existenzgrundlage zu entziehen. Sie sollen nicht dasselbe erleben müssen, was homosexuelle Geistliche viele Jahrhunderte erfahren haben. Stattdessen plädiere ich für eine Praxis der Duldung. Es soll geduldet werden, dass es Pfarrer_innen gibt, die diese Art der Segnung ablehnen, einen festgeschrieben Anspruch hierauf sollen sie jedoch nicht erhalten. Das ist gerecht und barmherzig zugleich. Gerecht, weil es sich klar gegen die weitere Diskriminierung gleichgeschlechtlich Liebender richtet, barmherzig, weil es die, deren Glaube schwach ist (vgl. 1. Kor. 8, 7-13) nicht ausgrenzt, sondern ihnen mit Liebe, Annahme und Respekt begegnet. Selbstverständlich würde es sich bei dieser Duldungspraxis um ein Auslaufmodell handeln. Denn diejenigen, die heute in den Pfarrdienst eintreten, verpflichten sich von Beginn an auf die Gesetze und Ordnungen der jeweiligen Landeskirche. Daher müssen diese Menschen sich im Vorfeld die Frage stellen, ob sie unter der Bedingung der Gleichbehandlung homo- und heterosexueller Menschen ihren Dienst versehen können.

Meine tiefe Hoffnung ist, dass auch bei denen, die die Segnung heute noch ablehnen, Veränderungen einsetzen werden. Ich wünsche diesen Menschen ein waches Auge und ein offenes Ohr und festes Herz, um den Segen, den Gott über den Partner_innenschaften von homosexuell Liebenden ausgießt und schon so reichlich ausgegossen hat, zu erkennen. Gott der Herr spricht: "Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?" (Jes. 43, 19).

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