Die Frage der Woche, Folge 76: Die evangelische Kirche unterstützt keine Kinderehen

Die Frage der Woche, Folge 76: Die evangelische Kirche unterstützt keine Kinderehen
Wie aus einer Verschärfung des Gesetzes gegen Kinderehen eine angebliche Unterstützung für Kinderehen werden kann.

Die evangelische Kirche und evangelisch.de unterstützen keine Kinderehen. Wir sind nicht dafür, dass Kinder heiraten oder verheiratet werden dürfen. Minderjährige müssen besonders vor Missbrauch geschützt werden. Kinderehen sind verboten!

So.

Aber.

Aber? Darf man an den Satz "Kinderehen sind verboten" überhaupt ein "aber" dranhängen?

Das ist der Kern der Diskussion, die mich in dieser Woche aus völlig unerwarteter Richtung überrascht hat. Wie das? Dazu vier Absätze Rückblick:

Das Altpapier auf evangelisch.de ist Deutschlands ältestes Medien-Watchblog. Jeden Werktag wirft einer der Autor*innen einen Blick auf die Diskussionen in und über Medien, manchmal auch darüber hinaus.

Am Montag hat Blogger Frank Lübberding darin die Berichterstattung über den Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas zu Kinderehen thematisiert. Lübberding greift auch den Autor Joachim Steinhöfel an (der unter anderem auch der Rechtsanwalt von Akif Pirincci war). Steinhöfel hatte auf "Tichys Einblick" den Maas-Entwurf mit scharfen Worten kritisiert. Unser Autor Lübberding antwortete mit ebenso scharfen Worten. Das gipfelte in den Worten "publizistische Kloake", sicher eine Formulierung an der Grenze des guten Geschmacks und durchaus diskutabel.

Dann hat Frank Lübberding einen Vergleich gezogen, der Roland Tichy höchstpersönlich auf die Palme brachte. Lübberding weitete die Diskussion auf die Frage aus, ob in anderen Ländern geschlossene Rechtskonstrukte hier nicht eigentlich auch gelten müssten, wenn wir wollen, dass unsere Rechtskonstrukte im Ausland anerkannt werden - zum Beispiel eingetragene homosexuelle Partnerschaften.

Das war ein gewagter Vergleich. Er kam bei vielen Lesern so an, als wollten wir bei evangelisch.de Kinderehen verharmlosen. So war das nicht gemeint. Es reichte trotzdem, dass Roland Tichy daraus konstruierte: evangelisch.de befürworte Kinderehen, um Homoehen im Ausland zu fördern. Das tun wir nicht! Um es nochmal deutlich zu sagen: Wir befürworten keine Kinderehen. Justizminister Heiko Maas übrigens auch nicht.

Und das ist das Absurde an der ganzen Diskussion: Der Justizminister wollte eine Verschärfung der Gesetze (mehr z.B. hier), um den Jugendämtern eine bessere Handhabe zu geben, gegen Ehen mit Minderjährigen vorzugehen. Aber weil der Entwurf keine automatische Annullierung von solchen Ehen vorsah, sondern eine Einzelfall-Prüfung, regte sich erst die Bild-Zeitung, dann Tichys Einblick und auch die CDU/CSU darüber auf: Kinderehen gehörten schließlich verboten.

Das sind sie schon und würden es auch nach dem von Maas vorgelegtem Gesetzentwurf bleiben. Aber dass es dem Kindeswohl dienen kann, solche Ehen erstmal zu überprüfen und im Einzelfall über die Auflösung zu entscheiden, ist dieses "aber", mit dem viele Menschen offenbar ein Problem haben.

In den E-Mails, die uns nach Tichys Tirade erreichten, geht es vor allem um eine Befürchtung: Die 60-jährigen "ausländischen Kinderficker" mit ihren 12-jährigen Bräuten bekämen einen Freibrief für Vergewaltigung. Und nun sei es aber endgültig Zeit aus der Kirche auszutreten.

Es ist das Geheimnis der Mailschreiber, wie sie aus einer Einzelfallprüfung einen Freibrief machen. Eine pauschale Lösung kann trotzdem manchmal die schlechtere sein. Dazu Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung: Ein pauschales Verbot könne "im Einzelfall junge Frauen ins soziale Abseits drängen". In den Fällen, die unsere Mailschreiber befürchten, sicher nicht. Genau hinschauen muss man trotzdem immer.

Die letzten Tage sind ein Lehrstück dafür, wie mit Empörung und Aufregung mehr Aufmerksamkeit zu holen ist als mit Sachlichkeit. Den Mechanismus bedient der Boulevard-"Journalismus" schon seit Jahrzehnten. Internet-Angebote, die noch stärker von der Aufregung innerhalb ihrer speziellen Zielgruppen leben, verstärken diesen Effekt noch zusätzlich. Ich würde mich freuen, wenn wir wieder zu einem sachlichen Ton zurück finden.

Wer sich mehr über Kinderehen informieren möchte, dem empfehle ich noch diese zwei Texte: Den detaillierten Kommentar gegen Kinderehen von Necla Kelek und diese chrismon-Reportage vom Kampf gegen Kinderehen in Malawi.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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