Die Frage der Woche, Folge 73: Der Fels im Diskurs?

Die Frage der Woche, Folge 73: Der Fels im Diskurs?
Beobachtungen vom 4. Evangelischen Medienkongress zur Frage, wie Journalisten und Medien mit zunehmenden Anfeindungen umgehen können und sollten, und was eigentlich aus der Wahrheit wird.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

vielen Dank für die intensive Diskussion unter meinem Blog-Eintrag von vorletzter Woche, insbesondere Martins, Matthias und SozialerMensch! Ich lese das gern. Auf dem Level können wir reden, das finde ich gut.

Ich selbst habe in der Woche allerdings nicht mitgeredet, weil ich nach dem Feiertag zur Deutschen Einheit eine Woche im Urlaub war. Seitdem hat sich meine Sorge darum, wie wir uns in Deutschland miteinander auseinandersetzen, nicht verflüchtigt. Denn da waren die Einheitsfeiern am 3. Oktober in Dresden - was da den anwesenden Menschen beim Staatsakt entgegenschlug, ist ein Ausdruck genau der Brutalisierung von Dialog, die unsere auf Konsens und Verhandlungen aufgebaute demokratische Gesellschaft irgendwann zerbrechen kann.

Wie Medien und Journalisten mit dieser Lage umgehen, war ein heiß diskutiertes Thema auf dem 4. Evangelischen Medienkongress, der am Mittwoch und Donnerstag in Hamburg zusammenkam. Es ging sowohl um klassische Medien wie die Tagesschau als auch um soziale Medien, um die Frage nach Werten in Medien ebenso wie um die konkrete Ethik des journalistischen Handelns. ZDF-Moderatorin Dunja Hayali bekam am Abend des Kongresses den Sonderpreis der Jury des Robert-Geisendörfer-Preises verliehen, weil sie sich mit "Beharrlichkeit [...] in den Dienst einer offenen, nie teilnahmslosen Gesprächskultur stellt". So steht es in der Jury-Begründung. Hayali hatte mit ihrer Dankesrede bei der Goldenen Kamera im Februar 2016 Millionen erreicht, in der sie sich klar gegen die Anfeindungen und den Hass positionierte, der ihr als Journalistin in der Öffentlichkeit entgegenschlägt. Für das ZDF hatte sie sich im Anschluss mit Menschen getroffen, die sie persönlich angegriffen hatten, um deren Haltung überhaupt erstmal zu verstehen.

Das ist eine bemerkenswerte, bewundernswerte Leistung, die zu Recht mit dem Geisendörfer-Preis ausgezeichnet wurde. Auf dem Medienkongress ging die Diskussion aber noch weiter: Wie gehen Medien und Journalisten insgesamt mit der "neuen Welle des Hasses" um? Zwei Diskussionen und Anregungen vom Medienkongress dazu möchte ich rausgreifen.

In einer Diskussionsrunde saßen mehrere Menschen zusammen, die Anfeindungen erlebt haben: Dunja Hayali selbst, Wort-zum-Sonntag-Sprecherin Annette Behnken, Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, dazu die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer und Medienanwalt Christian Schertz. Der lieferte dann auch gleich den eingängigsten Gedanken: Beleidigungen und "hate speech" müssen mit dem "Rammbock des Rechtsstaates" angegangen werden, im Internet ebenso wie auf Demonstrationen, auf denen die Kanzlerin bildlich an einem Galgen hängt. Denn die Gesetze dafür sind da, es mangelt nur an Umsetzung durch Polizei und Staatsanwaltschaft. Die anderen bestätigten: Wenn ein Internet-Kommentator tatsächlich eine Anzeige oder einen Strafbefehl auf dem Tisch hat, "ist erstmal Ruhe".

Aber in der Diskussion wurde auch deutlich, dass das nicht für jeden gilt, der seine Unsicherheit, Wut, Angst, Systemkritik oder Frustration in aggressive Online-Kommentare verpackt. Es gibt auch unter denen einige wenige Menschen, die auch dann nicht nachlassen, wenn sie merken: Am anderen Ende sitzt ja auch ein Mensch. Dunja Hayali brachte es auf die Formel: "Schwierig wird es, wenn Emotionen auf Fakten treffen." Dann sei man machtlos.

Ohne Fakten geht es aber nicht, ganz besonders im Journalismus, das betonte Georg Mascolo in seiner brillianten Laudatio auf die Sonderpreisträgerin. "Fakten sind der Fels, auf dem sich unser politischer Diskurs gründet", sagte Mascolo, der den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung leitet. Fakten sind das Kerngeschäft von Journalisten, und die eigene Haltung darf Fakten nicht im Weg stehen: "Wie wir als Journalisten für Werte einstehen und Haltung zeigen können, ohne in einen Bekenntnisjournalismus zu verfallen, ist eine Frage, der sich Journalisten heute stellen müssen", formulierte Mascolo. Die Aufgabe von Journalisten ist es nicht, dem Publikum zu sagen, was es zu glauben hat, bekräftigte auch Arnd Henze, Leiter der Auslandsberichterstattung im ARD-Hauptstadtstudio. Was nicht heißt, dass Journalisten zu allem neutral sein müssen - "manchmal ist eine transparente Parteilichkeit ehrlicher", gab Georg Mascolo den anwesenden Zuhörer*innen mit auf den Weg.

In Summe: Fakten richtig berichten, den Hasskommentatoren antworten, die nicht komplett dem Dialog verloren sind, und die eigene Meinung und Einordnung als solche kennzeichnen. Das ist das Grundrezept für Journalisten in einer Medienwelt, in der sie schon längst nicht mehr die einzigen sind, die senden können. Der Maßstab soll also sein: Ist das, was ich veröffentliche, richtig und wertvoll? Ein Maßstab, den sich Medienprofessor Bernhard Pörksen bei seinem Vortrag übrigens für jeden Menschen, der irgendwo irgendwas postet, wünschte.

Es ist aber auch ein Ideal, das so lange unerreichbar ist, wie pure Reichweite in Klicks die entscheidende Währung des journalistischen Geschäfts ist. Denn "die Medien" bestehen eben nicht nur aus sorgfältigen Rechercheuren wie Georg Mascolo, öffentlich-rechlichten Rundfunkanstalten, qualitätsbewussten Regionalzeitungen und profilierten Einzelschreibern wie Stefan Niggemeier und Richard Gutjahr. Dazu gehört auch jeder einzelne Google-Treffer der rechten "Gegenöffentlichkeit", jeder Tweet von identitären Kampfmedien und jeder Facebook-Post von Lutz Bachmann mit hunderten von Likes. Und da ist dieser Standard einfach nicht einzuhalten, weil die Frage, was "richtig" und was "wertvoll" ist, oft genug nichts mehr mit intersubjektiv überprüfbarer Wirklichkeit zu tun hat, sondern viel mehr mit gefühlten Wahrheiten in der Filterblase.

Der Evangelische Medienkongress hat dagegen nochmal verdeutlicht, dass Journalisten ihre Aufgabe, den öffentlichen Diskurs zu fördern, zunächst mit Fakten erfüllen können, allen Ausrufen des "postfaktischen Zeitalters" zum Trotz. Welche Werte die Kirche dazu beisteuern kann, fasste EKD-Kulturbeauftragter Johann Hinrich Claussen schön zusammen: "Glaube, Liebe, Hoffnung wäre schön, aber Wahrheit würde mir reichen."

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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