Seit die "Ibiza-Affäre" vor einigen Jahren offenbarte, dass Korruption selbst in den höchsten politischen Ämtern Österreichs möglich ist, können erfundene Geschichten die Realität kaum noch übertreffen; damals musste immerhin der Vizekanzler seinen Rücktritt einreichen. Wenn sich also in diesem Auftakt zur möglichen neuen ARD/ORF-Krimireihe "Mord in Wien" rausstellt, dass ein hochrangiger Staatsschützer sowie der Leiter der Sonderabteilung gegen Organisierte Kriminalität auf der Lohnliste der Mafia stehen, ist das zwar selbstredend ein Skandal, aber aus Publikumssicht nicht wirklich erschütternd.
Dass "Der letzte Bissen" trotzdem sehenswert ist, liegt vor allem am Drehbuch von Horst Günther Fiedler, genauer gesagt an seiner Konstellation des von August Wittgenstein und Caroline Frank verkörperten Ermittlungsduos: Der Adel genießt in Österreich eine ganz besondere Stellung, obwohl die entsprechenden Titel nach dem Ende der Habsburger Monarchie vor gut hundert Jahren abgeschafft worden sind. Es sorgt daher durchaus für eine gewisse Ehrfurcht, dass Oberstleutnant Carl-Friedrich Nassau, der nach einem Zerwürfnis mit seinem Vater den Mädchennamen der Mutter angenommen hat, ungefähr die Nummer 20 in der hypothetischen kaiserlichen Thronfolge ist.
Seine ranggleiche Kollegin Franziska Malzer lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken: Die maßgeschneiderten Anzüge, die handgefertigten Schuhe und der luxuriöse Wagen wecken in Kombination mit den ausgesucht korrekten Umgangsformen einen sehr ausgeprägten umgekehrten Standesdünkel. Dass Hauptdarsteller Wittgenstein seinerseits ein waschechter Prinz ist (Sayn-Wittgenstein-Berleburg), gibt’s als Schmankerl oben drauf.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ungleiche Duo kommt zusammen, weil die Innenministerin (Edita Malovčić) den eigenen Behörden misstraut: Nassau genießt einen ausgezeichneten Ruf, seit er einen Serienmörder zur Strecke gebracht hat, Malzer ist interne Ermittlerin. Die beiden sollen einen Doppelmord aufklären: Der Staatsschützer und der OK-Beamte sind vor ihrer Jagdhütte mit Armbrustpfeilen beschossen worden. Tödlich war allerdings erst ein "Fangschuss" in den Kopf; auch die Koniferenzweige in ihren Mündern (der titelgebende "letzte Bissen") sind ein Verweis aufs Weidwerk.
Tätowierungen an den Körpern verraten den Bezug zur Mafia. Spätestens jetzt ist klar, dass sich Nassau und Malzer mit äußerst gefährlichen Gegenspielern anlegen müssen, die wiederum Verbindungen in höchste Kreise haben, wie der Schweiß auf der Stirn des obersten Verfassungsschützers schon früh verrät; und er ist nicht der einzige mit einer Leiche im Keller. Aus dieser Konstellation hätten Fiedler und Regisseurin Sabine Derflinger auch einen Thriller machen können, aber die nach den Prologmorden ertönende Vorspannmusik setzt einen klaren Kontrapunkt.
Das gilt auch für die trockenen Repliken Malzers, die ihren Zwangspartner sehr kühl abblitzen lässt, als er das Eis brechen will. Im Verlauf der Zusammenarbeit zeigt sich allerdings mehr und mehr, dass die Vorbehalte unbegründet sind, zumal ihre Schwester und die kleine Enkelin den Baron umgehend in ihr Herz schließen. Witzig sind auch die Avancen des Mafiabosses, der ausgerechnet den zukünftigen Erben diverser Schlösser und riesiger Ländereien bestechen will. Für weitere Heiterkeiten sorgen die liebevollen Geplänkel Naussaus mit seiner Zwillingsschwester (Daniela Schulz) sowie die Stippvisiten in der Rechtsmedizin: Suzanne von Borsody hat sichtbares Vergnügen an ihren kurzen Auftritten. Jenseits dieser Momente gibt es aber durchaus auch spannende Szenen; zum Finale gerät Malzers Familie in die Fänge der Gangster.
Das Fortsetzungspotenzial ist offenkundig, zumal das Duo auch weiterhin nur bei besonderen Fällen zusammenarbeiten würde. Auch die persönliche Ebene, in vielen Krimis eher lästiges Beiwerk, hat noch Einiges zu bieten. Der Zwist zwischen Nassau und seinem Vater (Dietrich Hollinderbäumer) wird bloß angedeutet, als der Alte über die "vermaledeite Polizeikarriere" seines Sohnes schimpft, nachdem ein Hubschrauber im Park des Salzburger Jagdguts gelandet ist; und die Malzers mussten in der Vergangenheit gleich mehrere Tragödien verkraften. Angesichts der gelungenen Kombination von Krimi und Komödie kann es der Film spielend verkraften, dass erfahrene Krimifans früh ahnen werden, wer mit den Morden an den Beamten eine alte Rechnung beglichen hat. Weniger verzeihlich ist ein akustischer Lapsus, als am Schießstand nach jedem Schuss das typische Geräusch einer ausgeworfenen Hülse erklingt; allerdings bei einem Revolver.