Die Frage der Woche, Folge 68: Dient ein Burka-Verbot der Freiheit der Frau?

Die Frage der Woche, Folge 68: Dient ein Burka-Verbot der Freiheit der Frau?
Verbote sind das Gegenteil von Freiheit. Wollen wir für ein vages Angstgefühl vor einem Kleidungsstück ein Grundpinzip unserer freiheitlichen Gesellschaft aufgeben?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

51 Prozent der Deutschen wollen ein komplettes Verbot der Vollverschleierung. 30 Prozent sind für ein teilweises Verbot (z.B. im öffentlichen Dienst oder an Schulen). Für den öffentlichen Dienst stimme ich dem zu: Eine*r Staatsdiener*in will ich ins Gesucht schauen können, das habe ich 2011 schon geschrieben.

Ein generelles Burka-Verbot dagegen widerspricht so vielen unserer Grundsätze, dass ich mich frage: Warum will eine Mehrheit in der Umfrage die Möglichkeit einer Vollverschleierung so unbedingt verhindern?

Erstens: Aus den Zeiten, Frauen generelle Kleidungsvorschriften machen zu wollen, sind wir doch eigentlich raus. (Siehe dazu auch Theresa Bückers Kommentar zum Burkaverbot auf Edition F.)

Zweitens: Verbote sind erstmal immer das Gegenteil von Freiheit. Ein anonymer Nutzer schrieb hier auf evangelisch.de in einem Kommentar:

"Europäische Frauen müssen in etlichen Weltregionen Kopftücher oder ähnliches tragen, weil es die örtlichen Sitten und Gesetze so vorschreiben. Daher hat umgekehrt Deutschland auch moralisch das Recht, von Gästen eine den hiesigen Sitten entsprechende Kleidung per Gesetz zu verlangen."

Das ist eine gefährliche Fehleinschätzung dessen, was die Demokratien in Mitteleuropa so lebenswert macht. Der moralische Vorteil einer westlichen Demokratie ist nicht, dass sie die "besseren" Gesetze, Gebote und Verbote hat. Der Vorteil ist, dass sie weniger Verbote ausspricht. Unsere Gesetze sollen im Optimalfall ein gutes "wie" herstellen, nicht das "ob" definieren. Ganz ohne Verbote geht es nicht (sonst bräuchten wir kein Strafgesetzbuch), aber dabei steht in der Regel der potentielle Schaden im Mittelpunkt, der anderen Menschen zugefügt wird. Den gibt es beim Tragen einer Vollverschleierung nicht.

Wir haben also nicht das "moralische Recht", eine bestimmte Kleidung zu verlangen, sondern die moralische Pflicht, jedem die freie Wahl seiner Kleidung zu überlassen. Selbst wenn wir einen bestimmten Kleidungsstil persönlich nicht mögen (was für manche ja schon bei Miniröcken und Nietenjacken anfängt). Ich störe mich auch daran, Menschen nicht ins Gesicht schauen zu können. Das gibt mir aber noch lange nicht das Recht, jemanden zu zwingen, ihre Burka (oder einen Motorradhelm) abzunehmen. Ich kann in bestimmten Situationen darum bitten (zum Beispiel im Gespräch, in der Bank, auf Ämtern), aber einen Anspruch darauf gibt es nicht. So ist das in einem freien Land.

Der gleiche Nutzer interpretiert den Widerspruch gegen ein Burkaverbot auch automatisch als "Glorifizierung" der Burka. Das ist das gleiche falsche Schwarz/Weiß-Denken. Das Gegenteil eines Burkaverbots ist nicht die Burkapflicht. Das Gegenteil ist eine freie Entscheidung, ob eine Frau Burka tragen will oder nicht. Eine Frau, die in Deutschland lebt, MUSS keine Burka tragen. Sie darf es aber. Wer aus freier Entscheidung, aus religiöser Überzeugung oder aus modischen Gründen voll verschleiert sein will, der macht es halt.

Ohne Burka ist schöner und netter, weil man sich dann zumindest gegenseitig anlächeln kann. Aber das muss (und darf) jede*r für sich entscheiden.

Zwei kleine Argumente noch, die immer wieder auftauchen: Sicherheit und Vermummungsverbot. Es gibt in Deutschland ein so genanntes Vermummungsverbot, geregelt im Versammlungsgesetz §17a. Das gilt aber nur für "öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzüge oder sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel". Damit gilt es zum Beispiel nicht für das Shopping in der Fußgängerzone, für das Grillen im Park oder sonstige alltägliche Anlässe. (Gottesdienste sind davon übrigens auch ausgenommen, und zwar explizit vorher in §17.) Das Vermummungsverbot gibt es, damit Teilnehmer an Demonstrationen vor allem für die Polizei erkennbar bleiben. Als Argument für ein Burkaverbot taugt es nicht.

Das Sicherheits-Argument hört und liest man auch ab und zu, es kam auch in Kommentaren hier schon auf: Terroristen könnten sich unter einer Burka tarnen. Das können sie aber auch in Trenchcoats, Wintermänteln, Motorrad-Kombis, Regenponchos oder unter den Kostümen einer chilenischen Panflöten-Gruppe. Nach einem Verbot all dieser Dinge ruft aber niemand. Das Sicherheitsargument ist also nur vorgeschoben.

Am Ende scheint es den Burka-Gegnern vor allem um ein Gefühl zu gehen: "Das gehört hier nicht her." Wollen wir für dieses vage Gefühl ein Grundpinzip unserer freiheitlichen Gesellschaft aufgeben? Ich jedenfalls nicht. Auch wenn ich es schöner fände, wenn die wenigen vollverschleierten Frauen, die mir in Frankfurt begegnen, ihr Gesicht zeigen würden. Aber ihre Entscheidungsfreiheit ist erheblich wichtiger als mein persönliches Gefühl.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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