Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 33: Wie ist das eigentlich mit Gastbeiträgen?

Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 33: Wie ist das eigentlich mit Gastbeiträgen?
Alan Posener schreibt uns ein Geschenkpapier mit spitzen Ecken.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

es wird Advent, und das Altpapier hat Geburtstag. Deutschlands ältestes Medienwatchblog wird 15 Jahre alt, fünf davon hat das Altpapier auf evangelisch.de verbracht. Als evangelisch.de im Jahr 2009 an den Start ging, suchte das Altpapier gerade nach einer neuen Heimat abseits der Netzeitung. Seitdem überraschen und beglücken uns die Altpapier-Autoren und -Autorinnen um Christian Bartels jeden Werktag mit einem einzigartigen Blick auf die deutschen Medienseiten. Und dazu haben sie für die Tage bis zum 1. Dezember Gastautoren eingeladen, die tägliche Geschenkpapiere schreiben. Einer davon war - am 24. November - der "Welt"-Autor Alan Posener.

Für uns ein gewagtes Experiment: Was würde jemand, der in seinem Wikipedia-Eintrag "Religion ist schlecht für den Menschen" als prägendes Zitat stehen hat, auf einer Plattform wie evangelisch.de anfangen? Die Antwort: Er dreht erstmal den Spieß um. Denn das Altpapier kritisiert normalerweise die massenmedialen, säkularen Medienvorgänge - christliche Medien eher nicht. Posener dagegen blickt auf unser eigenes Blog "Stilvoll glauben", unser Blog "Kreuz & Queer", das katholische Domradio und kommt von dort zum Papst. Dessen Vorgänger mag er ja erwiesenemaßen nicht. Und in Sachen Franziskus zieht Posener eine Verbindung auf wackligen Füßen: Weil Franziskus Kapitalismuskritik betreibt und in dem Kontext auch die Aussagen von Pius XI. zum "Imperialismus des Geldes" lobte, die wiederum laut Posener eine verkappte Juden-Kritik enthielten, müsse er auch Xavier Naidoos in Verse gefassten Vorurteile gegen Bänker teilen, die der Sänger mit dem antisemitischen "Rothschild"-Klischee beschreibt.

Das hat mindestens einen unserer Leser schwer erschreckt, der einem kleinen Twitter-Gespräch mit mir die Frage hinterher schickte:

Kann man sich mit „Das ist ein Gastbeitrag. Die Redaktion sieht das ja ganz anders.“ einfach der Kritik und Verantwortung entziehen?

— frågvis (@wunderfitzig) 25. November 2015

Das kann man natürlich nicht. Auch für Gastbeiträge, die auf einer Plattform erscheinen, ist diese Plattform verantwortlich. Das hatten wir in den letzten Wochen schon im Fall des von "idea" veröffentlichten und später gelöschten Gastkommentars von Uwe Siemon-Netto. Nun gibt es da einen wesentlichen Unterschied zu Alan Posener: Dessen Text hat nämlich vor der Veröffentlichung niemand gelesen und abgesegnet. Das ist bei den Inhalten in unseren Blogs immer so. Die Blogger machen ihr Ding, und manchmal knirscht es dann nach der Veröffentlichung. Der Kritik daran müssen wir uns dann stellen.

Auch beim Beitrag von Alan Posener gilt das. Die Redaktion von evangelisch.de hätte die Parallele zwischen Xavier Naidoo und Papst Franziskus nicht gezogen, die Posener sogar in der Überschrift schon anteaserte. Das Altpapier hat eine gute, 15-jährige Tradition der Zuspitzung in der Betrachtung, die Posener selbst aus dem FF beherrscht. Ich habe seinen Beitrag (zur gleichen Zeit wie jeder andere) so gelesen, dass man die Äußerungen des Papstes auf diese Weise missverstehen könnte, nicht dass man es müsse, und um darauf aufmerksam zu machen, bedient sich Posener des Mittels der Zuspitzung. Aus der scharfen Beobachtungsgabe, die das Altpapier als Blog normalerweise auszeichnet, ergibt sich diese Zuspitzung manchmal. Sie geht, das sehe ich auch, manchen hier zu weit.

Aber dass der Kapitalismus insgeheim von Juden gesteuert würde, konnte man noch nie ernsthaft glauben und kann es heute auch nicht. Wer das tut, verabschiedet sich gänzlich in das Reich der Verschwörungstheorien. Dass im Kapitalismus zugunsten des Profits der Mensch immer wieder auf der Strecke bleibt, ist der Konstruktion der Anreize in diesem System geschuldet. Denn der Faktor "Arbeitskraft" ist die Stellschraube, die sich am schnellsten verändern lässt - Arbeiter sind schneller entlassen als z.B. Prozesse verändert oder neue Produkte entwickelt. Profitsteigerung gilt noch immer als Erfolg, und andere Kriterien gehen dabei unter. Ein christliches Menschenbild kann seinen Teil dazu tun, dass auch noch andere Werte als Geld als unternehmerischer Erfolg gelten können. Die Stimme des Papstes ist dabei sicher eine der lautesten Warnungen. Auch, wenn er mit seinem Satz "Diese Wirtschaft tötet" die Kunst der Zuspitzung gut genug beherrscht, um auch ein Geschenkpapier fürs Altpapier schreiben zu können. Er ist jedenfalls herzlich eingeladen.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gutes Wochenende!


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