Die vernetzte Welt kommt erst noch

Die vernetzte Welt kommt erst noch
...und wir sollten dabei sein, sonst gibt es uns nicht. Aber müssen wir unsere digitalen Kirchtürme selbst bauen?

Wir stehen erst am Anfang der vernetzten Welt. Das iPhone kam 2007 auf den Markt, gerade erst 12 Jahre her, und markiert den Beginn der Allvernetzung. Wir sind aber noch lange nicht da, wo wir unweigerlich hinkommen werden. Smarthomes kommen uns jetzt noch vor wie überflüssige Spielerei, aber spätestens wenn wirklich alle Heizungszähler per Wlan von außen abgelesen werden können, hat das internet of things plötzlich Alltagswert.

Genau wie wir jetzt ganz selbstverständlich alles um uns herum an eine Steckdose angeschlossen haben, werden wir überall vom Informationsnetz umgeben sein. Unsere Autos und Elektroroller, Handtaschen und Gürtelschnallen werden online sein und nachfolgende Generationen können sich nicht mehr vorstellen, wie es jemals anders sein konnte. Auf die Kombination aus Smartphone und Kopfhörer, die Menschen heute mit dem Netz verbindet, werden sie schauen wie wir heute auf Pergament-Schriftrollen. Vielleicht werden sie aber in Panik geraten, wenn die Informationseinblendung in ihrem Sichtfeld plötzlich ausfällt. So wie wir einen Schockmoment erleiden, wenn uns das Handy aus der Hand rutscht.

Ein Teil dieser Zukunft ist jetzt schon da: Auf unseren Wegen durch das Internet werden wir zahlreich vermessen. Anonym surfen ist zwar möglich, aber hilft nicht dagegen, dass sich mein Handy in Funkzellen einwählt, auch ohne aktiviertes GPS. Siri und Alexa wissen immer, wo sie sind, genauso wie ein Smart TV, der Wlan-Router oder die Fernsehbox.

Wir Menschen dürfen uns rausnehmen, nicht immer messbar zu sein

Umgekehrt gilt aber auch: Wer in diesen Netzen nicht auftaucht, existiert nicht. Als Menschen müssen wir uns diese Freiheit bewahren. "Technik" im weitesten Sinne darf für uns keine allmächtige, nicht verstehbare, gottähnliche Instanz sein. Die Entwicklungen der Digitalisierung sind ein menschliches Werk, dem die Unerklärlichkeit und Unmessbarkeit Gottes entgegensteht. Wir Menschen dürfen uns als Ebenbilder Gottes rausnehmen, dass es Teile und Zeiten von uns gibt, die nicht messbar und nicht nachverfolgbar sein müssen. Gott ist das nämlich auch nicht.

Deswegen ist es übrigens begrüßenswert, wenn eine Stadt wie San Francicso die öffentliche Gesichtserkennung verbietet. Die Freiheit, sich der Messung zu entziehen, darf nicht sofort verdächtig werden. Deswegen ist Solid, die neue Internet-Idee von WWW-Erfinder Tim Berners-Lee, so interessant: Dessen Grundsatz ist Selbstbestimmung über die eigenen Daten.

Aber selbst wenn das Internet sich nochmal radikal ändert, gilt der Satz: Wer in diesen Netzen nicht auftaucht, existiert nicht. Das gilt auch für Organisation mit einem Missionsauftrag, wie eben Kirche. Studien wie der alljährliche Digital News Report aus Oxford und die JIM- und KIM-Studien zeigen uns das jedes Jahr.

Wenn wir als Kirche unsere Haltungen und Positionen zeigen wollen, müssen wir auf allen vernetzten Ebenen vertreten sein, in der Gemeinde wie auf YouTube. Dafür müssen wir aber digital sichtbar sein. Wir müssen zeigen, dass Kirche überall ist und zu diesen Fragen auch was zu sagen hat. Aber wer baut mit unseren Plänen die digitalen Kirchtürme, die wir brauchen? Wir sind keine Bauunternehmer. Wenn wir physikalische Kirchtürme bauen, stellen wir ja auch Architekten und Bauarbeiter an, die nach unseren Ideen den Plan zeichnen und Stein auf Stein stellen oder alte Mauern einreißen und neue Fenster bauen, damit Menschen dort Menschen willkommen heißen können.

Die Kirche ist auch kein Software-Unternehmen. Im Netz gibt es den schönen Grundsatz "do what you do best, link to the rest". Lasst Kirche Kirche machen, Softwareentwickler Software und Hardwareentwickler Hardware! Andere Organisationen, Institutionen und Firmen haben die gleichen Probleme wie wir und vielleicht auch bessere Lösungen. Das kostet dann Geld statt Personal.

Aber es geht schneller, das Ergebnis ist meistens besser, und wir können uns auf unsere eigenen Aufgaben konzentrieren: Den Menschen da draußen zu zeigen, wie sie Mensch bleiben, wenn sie Digitalisierung und Technik in ihren Alltag und ihr Menschsein integrieren. Pilotprojekte wie die Kooperation mit Yext in der EKiR, die weit über Alexa hinausgehen, die Kooperation zwischen Gemeindebrief und ChurchDesk, die Gemeinden einen Weg in die digitale Gegenwart bieten, und die evangelischen YouTuber*innen wie Annabel, Jana, Theresa, Tatsächlich Pastor, Nerdgemeinde zeigen, dass wir nicht für alles eine eigene Plattform bauen müssen.

Auf zum Kirchentag

Lasst uns weiter darüber reden und nachdenken - unter anderem auf dem Kirchentag nächste Woche! Mich könnt ihr hier treffen:

Am Donnerstag vormittag (etwa 10-12 Uhr) am evangelisch.de-Stand im Markt der Möglichkeiten, Themenbereich 1, Außenfläche A3.

Am Freitag um 15 Uhr in Halle 2 (Westfalenhallen) beim Podium "Macht – Ohnmacht – Machen. Freiheiten digitaler (Christen-)Menschen" u.a. mit Volker Jung, Jule Lumma, Christian Sterzik und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.

Am Freitag um 19 Uhr im Klostergarten St. Franziskus, Franziskanerstr. 1–3 beim Netzgemeindefest, zu dessen Auftakt ich mit Volker Jung ein kleines Bühneninterview führe. Wenn ihr Fragen habt, die ich ihm stellen soll und die ihr anschließend mit mir und anderen beim Netzgemeindefest besprechen wollt, schreibt mir auf Twitter unter @dailybug oder hier in die Kommentare!

Am Samstag 15 Uhr ist in St. Franziskus, Franziskanerstr. 1, der interaktive Sublan-Gottesdienst vom Kirchentag, unter anderem mit Jana Highholder. Wenn ihr mitmachen wollt, geht das vor Ort oder online www.kirchentag.de/sublan! Alle anderen Aktivitäten unseres Medienhauses GEP findet ihr hier. Alle Veranstaltungen zu #DigitaleKirche findet ihr, wenn ihr "digital" in die Kirchentags-Programmsuche eingebt.

Wer nicht selbst zum Kirchentag kann, findet von Mittwoch bis Montag auf evangelisch.de und chrismon.de unser großes Kirchentagsblog. Dort nehmen wir euch virtuell mit auf den DEKT. Ansonsten sehen wir uns in Dortmund!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!

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