Evangelische Publizistik im Netz: Meine Abschiedsrede

Evangelische Publizistik im Netz: Meine Abschiedsrede
Warum brauchen sich die Kirche und das GEP, wie kann das Medienhaus der EKD und der Gliedkirchen kommende Herausforderungen bewältigen und warum brauchen wir Social Media?

Liebe Nutzer*innen und Blog-Leser*innen,

mein letzter Arbeitstag bei evangelisch.de ist vorbei. Ich verabschiede mich nach zehn Jahren aus dem Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik in Frankfurt, acht Jahre davon als Portalleiter evangelisch.de, die letzten Jahre auch als Leiter Digitale Kommunikation. Über meinen Schreibtisch wanderte in der Zeit fast alles, was im GEP irgendwie mit Digitalisierung zusammenhing, zuletzt die Kooperation "Digitale Kirchtürme" gemeinsam mit der Stabsstelle Digitalisierung der EKD und der Aufbau des kommenden Evangelischen Content-Netzwerks.

Vielen Dank an euch und Sie alle, die über alle diese Jahre treue Begleiter und Kritiker*innen waren! Manche Usernamen kenne ich noch seit 2009, als evangelisch.de erstmals die Pixel unserer Bildschirme erblickte. Als Abschiedsgruß veröffentliche ich heute meine eigene Abschiedsrede. Sie passt in dieses Blog ebenso gut wie in den großen Kreis derer, die mich im GEP so freundlich verabschiedet haben. Ich gehe nicht im Streit, sondern mit einer neuen Aufgabe im Sinn: Ich möchte Gemeinden und Landeskirchen noch mehr Hilfestellung geben, die digitale Gegenwart zu bewältigen, als ich das aus dem GEP heraus bereits tun konnte. Darauf freue ich mich!

Wenn ihr und Sie weiter von mir hören beziehungsweise lesen wollen, wird das bald wieder gehen. Im Februar und März mache ich Pause, so lange wie seit zehn Jahren nicht mehr, und freue mich darauf schon immens! Ab April bin ich bei ChurchDesk und werde dann einen neuen Weg finden, meine Gedanken und Beobachtungen zu Digitalisierung, #DigitaleKirche, Social Media und den verwandten Themen in längerer Form zu teilen. Auf Twitter gibt's die Kurzfassungen natürlich weiterhin! Obwohl ein Nischenmedium, ist Twitter für mich einfach bereichernd, um in der digitalen Kommunikationswelt diskutieren zu können und die wichtigsten Stränge nicht zu übersehen.

Ich wünsche euch und Ihnen allen ebenso wie meinen GEP-Kolleg*innen weiterhin eine gesegnete Zeit - wir sehen/hören/lesen uns!

Herzliche Grüße
Hanno Terbuyken


Evangelische Publizistik im Netz: Warum und wie? Zwei Antworten mit Geisendörfer

Warum braucht die Kirche das GEP? Auf der einen Seite ist eine Publizistik, die dem kirchlichen Auftrag und der Nachfolge Jesu verpflichtet ist, ein großer Wert für die Gesellschaft. Ohne den Kitt Kirche könnte unsere Demokratie noch weiter auseinanderfallen, als es die sogenannte "Alternative für Deutschland" mit ihrem Polit-Stunt in Thüringen bereits geschafft hat. Der christliche Weg, allen Menschen mit Liebe und Würde zu begegnen, wird von den Neofaschisten ausgehöhlt, wenn sie sich Christen nennen und gleichzeitig unterschiedliche Kategorien aufmachen, wie sie Menschen in Deutschland behandeln würden, wenn wir sie denn ließen. Es liegt auch an kirchlicher Publizistik, das zu verhindern.

Richtig gute Reportagen über die Menschen zu schreiben, die sich gegen den Neofaschismus in Deutschland engagieren, ist ein Teil davon - und den Drohungen zu trotzen, die damit einhergehen, was dieser Tage viele Journalisten leider erleben müssen. Das Schiff zu begleiten, das die Kirche mit "United 4 Rescue" beim Rettungseinsatz im Mittelmeer unterstützt, ist auch ein Teil davon.

Auf der anderen Seite ist es ebenso wichtig, einen Beitrag dazu zu leisten, dass Getaufte und Gläubige überall in Deutschland sagen: Kirche? Da bin ich gern dabei. Es ist wichtig, trotz oder gerade wegen der Prognosen für 2060 jetzt zu sagen: Liebe Gemeinden, wir geben euch Ideen und Handwerkszeug, wie ihr vor Ort wieder wichtiger für die Menschen dort werden könnt.

Als ich 2009 ins GEP kam – damals angelockt von der Frage, was ein Hansisches Druck- und Verlagshaus, das es damals noch gab, im so gar nicht hansischen Frankfurt am Main macht – wurde ich im Bewerbungsgespräch gefragt, warum ich bei evangelisch.de arbeiten möchte. Meine Antwort war: Menschen gehen heute ins Museum wie in die Kirche und in die Kirche wie ins Museum. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass sich das ändert. Kirche muss so erlebbar sein, dass die Leute da draußen sagen: Das ist ein Verein, den ich gut finde. Und wie sonst als über kirchliche Publizistik sollen sie davon erfahren? Und zwar über eine kirchliche Publizistik, die dort ihre Inhalte verbreitet, wo die Menschen auch tatsächlich sind?

Social Media ist mehr als auf Facebook rumhängen

2009 war dieser Ort (schon seit ein paar Jahren) das Internet, das für das GEP als neues Betätigungsfeld dazu kam. Damals noch mit Studi-VZ und anderen Eigenheiten, die heute schon gar nicht mehr alle kennen. Zwischendurch kam der rasante Aufstieg der Smartphones und von Social Media dazu. Dieser Entwicklung zu folgen war auch für das GEP, seit 2012 mit mir als Portalleiter von evangelisch.de, nicht einfach. Wir haben lange dafür gekämpft, dass wir jemanden einstellen, deren Aufgabe es ist, "den ganzen Tag auf Facebook rumzuhängen". Das ist natürlich nicht die Aufgabe: Es geht um Kommunikation mit Nutzer*innen, um eigene Formate, um funktionierende Kontakte und das Verstehen und Nutzen der Potenzierungspotentiale von Reichweite durch Sharing, und zwar nicht nur auf Facebook.

Die erste Social-Media-Stelle und das notwendige Werbegeld hatten wir aus den redaktionellen Kapazitäten von evangelisch.de abgespart. Und wie wichtig das war, sehen wir jetzt, wo gerade die Kapazitäten für Social Media von allen Seiten angefragt werden, weil dort ein lauter Teil der Musik spielt. Manchmal fast buchstäblich, wie in Form unserer Playlist von Kirchenliedern zum Brexit. Eine Kirche, die bei den Menschen sein will, kommt – bei allen berechtigten Bedenken insbesondere gegen Facebook als Firma und gesellschaftlicher Akteur – nicht umhin, sich dort kommunikativ zu Wort zu melden, wo Menschen miteinander über alles reden, was sie bewegt. Wer Teil der Alltagskultur sein will statt nur bewusst aufgesuchtes Sonntagsvergnügen, muss das akzeptieren, sonst wird dieser Wunsch nie Wirklichkeit.

Für Kirche und ihre Publizistik war diese auf Social Media wogende Zwei-Wege-Kommunikation damals neu und ungewohnt (und ist es manchmal noch). Die Digitalisierung hat auch im GEP zudem einen ständigen Change-Prozess angestoßen. Dieser Prozess hat kein Ende: Es wird sich immer etwas ändern, und zwar schneller, als unsere ecclesia semper reformanda es gewohnt ist. Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (gern übersetzt als "Mehrdeutigkeit") sind das neue Normal. (Mehr zu VUCA findet man unter anderem bei Harald Schirmer.) Es gibt keinen Stand, bei dem wir ankommen können und sagen: Jetzt ist erstmal wieder ein paar Jahre gut.

In solchen Zeiten braucht es andere Wegweiser als "das haben wir schon immer so gemacht". Der Gründer des GEP, Robert Geisendörfer, hat uns einen solchen mitgegeben, den im GEP alle kennen: "Was kann evangelische Publizistik? - Etwas öffentlich machen, Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen". Das ist ein gutes Leitwort für das "warum" unseres Handelns. Geisendörfer hat uns aber neben dem "warum" auch ein gutes "wie" mitgegeben.

Durch seine Reden, die in dem Büchlein "Für die Freiheit der Publizistik" gesammelt sind, zieht sich immer der Strang, genau hinzuschauen, welche Aufgaben zentral im GEP und welche dezentral in Landeskirchen und Gemeinden gelöst werden sollen. Dabei forderte er 1975 vor dem Rat der EKD "ein Gesamtkonzept, in dem nicht der Zufall die Entscheidungen trifft". Geisendörfer stellte sich damals die kirchliche Medienlandschaft so vor: Eine kirchliche Monatszeitschrift, ein kirchliches Wochenblatt, vier bis sechs regionale Kirchengebietsblätter, "wobei Region und Landeskirche nicht mehr identisch sein können", einige Fachzeitschriften zum Beispiel für Diakonie, Mission oder Entwicklungshilfe – und für jede Gemeinde einen Gemeindebrief.

(Vom Internet konnte Geisendörfer damals noch nichts wissen, aber aus heutiger Sicht würde ich das Wochenblatt durch eine robuste, zu gleichen Teilen service- und inhaltsgetriebene Internetpräsenz ersetzen – evangelisch.de eben.)

Dazu gibt Geisendörfer dem Rat der EKD dann folgenden Rat – und das im September 1975, erst gut zwei Jahre nach der Gründung des GEP: "In der Summe erscheinen mir zwei Begriffe wichtig: Professionalisierung und Rationalisierung. Ohne die Bereitschaft, Vorhandenes auch einzustellen, sollte man sich freilich nicht an die Arbeit machen." Er meint hier mit Rationalisierung übrigens nicht das Weg-Rationalisieren, sondern die ratio anspricht, den Verstand, um der kirchlichen Publizistik ein sinnvolles Konzept mitzugeben.

Das oben benannte "Warum" von Robert Geisendörfer gilt auch heute noch. Das "Wie" von 1975 erscheint mir aber im Jahr 2020 ebenso aktuell: "Ohne die Bereitschaft, Vorhandenes auch einzustellen, sollte man sich freilich nicht auf den Weg machen."

Denn eines ist klar: Es gibt nicht mehr Geld, auch wenn das dringend nötig wäre angesichts der zu erledigenden Aufgaben, die zum Bestehenden dazukommen. Mal eben ein Evangelisches Content-Netzwerk stemmen, um Sinnfluencer dabei zu unterstützen, ihre eigene Sicht auf Kirche, Glaube und evangelisch sein zu zeigen? Das GEP kann das, aber nur um den Preis, sich auch dabei an der Klarheit Robert Geisendörfers zu orientieren und Vorhandenes einzustellen. Selbst wenn man sich schon vor diesen Entscheidungen auf den Weg gemacht hat.

Dass das GEP dabei die Unterstützung der EKD braucht, ist unausweichlich. Denn auf dem Markt ist der Auftrag dieses Hauses nicht finanzierbar. Das GEP braucht aber auch Unterstützung von guten Leuten, die genau das können, was wir brauchen. Mein Nachfolger Denis Krick ist so einer, und nach zwei Wochen gemeinsamer Arbeit denke ich, er ist am richtigen Ort. Auf die Frage, warum er hier ist, hat er gleich an seinem sechsten Arbeitstag aus vollster Überzeugung gesagt: "Weil ich daran glaube, was wir hier tun."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Geist nehme ich mit in eine neue Aufgabe nach Berlin, wo ich weiter meinen Teil dazu beitragen möchte, dass Kirche nicht mehr wie ein museales Ausstellungsstück betrachtet wird. Das Zusammenspiel zwischen zentral, regional und lokal, das Robert Geisendörfer vorschwebte, wird mich auch dort weiter begleiten, wenn ich mit ChurchDesk Gemeinden und Landeskirchen das richtige Handwerkszeug für die digitale Gegenwart an die Hand gebe.

Für jetzt und hier möchte ich aber euch und Ihnen allen danken. Danke, dass ihr gekommen seid! Danke, dass ihr mir zehn Jahre lang Vertrauen gegeben habt – und viele Gelegenheiten, diesem Vertrauen gerecht zu werden. Es ist zu viel, um das alles Revue passieren zu lassen, das haben wir bei der Zehn-Jahres-Feier für evangelisch.de schon getan. Ich schaue aber mit Freude und Begeisterung auf alles, was wir gemeinsam geschafft haben: vom evangelisch.de-Start 2009 bis zu den Sprücheseiten, von unserem wegweisenden Facebook-Auftritt bis zur Taufbegleiter-App, zahlreiche Synoden und Kirchentage, das GEPcore und der jetzt anstehende Start des Evangelischen Content-Netzwerks. Es war eine gute Zeit mit euch. Danke!


Im Blog Confessio Digitalis habe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt aufgeschrieben. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass Digitalis auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel Confessio Digitalis natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!

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