Dornenreich

Dornenreich

Ein Sprichwort sagt: Keine Rosen ohne Dornen. Ja, ich weiß, es ist eine Metapher, die versinnbildlichen soll, dass alles Schöne auch seine Schattenseiten hat. Deshalb will ich jetzt auch nicht darauf herumreiten, dass die Aussage 1. Quatsch (es gibt jede Menge Rosen, die nicht pieksen) und 2. botanisch falsch ist (die Piekser an Rosen heißen eigentlich Stacheln).

Eigentlich geht es mir um etwas anderes. Eine meiner Rosen hat nämlich seit Kurzem einen neuen, sehr kräftigen Trieb, der über und über mit Dornen (ja, ich weiß, es heißt eigentlich Stacheln) besetzt ist. Große und kleine Spitzen bedecken den rötlich gefärbten Stamm über und über.

Ich habe keine Ahnung, was die Pflanze auf einmal veranlasst hat, sich so zu stachelbewehren. Und eben nur an einem einzigen, zugegebenermaßen allerdings sehr starken Trieb. Seit ich die Hamburger Deerns habe, wurden sie schon mehrmals zurückgeschnitten, trieben wieder aus und blühten wiederholt. Ganz normale Rosen eben. Auch in diesem klimamäßig eher bescheidenen Sommer gaben sie ihr Bestes und erfreuen mich noch immer mit Farbe und Duft.

Biologisch gesehen sind Stacheln dazu da, um die Pflanze vor gefräßigen Tieren und anderen Bedrohungen zu schützen. Soweit ich weiß, besteht dazu in unserem Garten keine Notwendigkeit – weder der Igel noch die Vögel noch der Mann und ich haben den Deerns jemals damit gedroht, sie abzunagen oder ihnen sonstwie Gewalt anzutun.

Der Schwiegervater weiß ebenfalls nicht den Grund, dafür aber Rat: Treibt der Ast unterhalb des Pfropfens, also der knotigen Stelle, an der die Rose auf den Wurzelstock zwecks Veredelung augesetzt wurde (und die idealerweise im Erdreich liegen sollte) aus, muss er herausgedreht werden, wenn die Edelrose weiter blühen soll. Die Betonung liegt auf abdrehen bzw. herausziehen, statt abschneiden. Denn nur so kann der Wurzelschössling mit Stumpf und Stiel beseitigt werden. Tut man das nicht, besteht Gefahr, dass die Unterlage viele eigene Triebe produziert, was auf Kosten der aufgesetzten Rose geht. Diese wird dann nicht mehr genügend versorgt und geht langsam ein. (Dies gilt übrigens für alle Rosentriebe, nicht nur die extrem bestachelten.)

Bei meiner Pflanze liegt der fiese Pieksertrieb jedoch oberhalb des Pfropfens. Deshalb wird er wie alle anderen Äste behandelt und erstmal so akzeptiert wie er ist, viele Stacheln hin oder her. Im zeitigen Frühjahr wird er dann zusammen mit den anderen zurückgeschnitten. Ich hoffe, dass die Deern nicht die Notwendigkeit sieht, sich weiter zum Superstachler zu entwickeln.

P.S.: Bei der Recherche zur Frage, warum die Rose auf einmal so viele Stacheln hat, bin ich noch auf ein weiteres Sprichwort gestoßen:

Ein Mensch bemerkt mit bittrem Zorn, dass keine Rose ohne Dorn.
Doch muss es ihn viel mehr erbosen, dass viele Dornen ohne Rosen. (Eugen Roth)

Stimmt auch wieder. So gesehen habe ich ja noch Glück mit meiner Hamburger Deern.

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