Es ist Frühbst

Es ist Frühbst

Als begeisterte Anhängerin von warmen Außentemperaturen behaupte ich oft, dass es von mir aus das ganze Jahr über Frühling sein könnte. Oder Sommer. Es sieht so aus, als ob es nun soweit wäre.

Was sich momentan in unserem (und allen anderen Gärten der britischen Insel) abspielt, ist mir aber nun doch etwas unheimlich: Es herrscht Frühling, Sommer und Herbst gleichzeitig im Blumenbeet. Während die Sonnenblumen, Astern und Dahlien, wie es sich für diese Jahreszeit gehört, vertrocknet bzw. verblüht sind und der Wildrosenbusch voller Hagebutten hängt, haben die Zierrosen gerade ihre Blüten geöffnet –zum vierten Mal in diesem Jahr. Aus den Wurzelstöcken der Rudbeckien treiben neue Blätter, Kamille und Löwenzahn stehen in voller Blüte. Traubenhyazinthen und Ranunkeln ragen 15 Zentimeter aus der Erde, die mehrjährige Wicke hat neue Triebe, und gestern habe ich eine frühlingsfrische Blüte an der Clematis entdeckt (s. Foto). Nebenan leuchtet eine weiße Kamelie, und wenn ich es richtig sehe, sind die Narzissen kurz davor, aufzugehen.

Auch in den Zeitungen wird von Zieräpfelbäumen berichtet, die zur gleichen Zeit Früchte und Blüten tragen, von aktuell erntereifen Bohnen und Erdbeeren, von Stockrosen und Fingerhüten in allen Farben. Botaniker erklären das Phänomen mit dem Wetter, das in diesem Jahr ebenfalls etwas durcheinander geraten war: Dem extrem kalten Winter folgten zwei sehr warme und trockene Monate im Frühling, die Pflanzen sprossen, als ob es kein morgen gäbe. Der Sommer wiederum verdiente den Namen kaum, niedrige Temperaturen und mäßige Niederschlagsmengen ließen die Pflanzen vermuten, dass der Herbst eingetroffen sei, sie legten eine Ruhephase ein. Doch dann, Anfang Oktober, stieg das Thermometer für zwei Wochen auf 30 Grad, gefolgt von ausgiebigen Regengüssen –für die Pflanzen untrügliche Anzeichen, dass es Frühling ist. Auch die wenigen frostigen Nächte im Oktober konnten sie nicht von diesem Glauben abbringen, zumal nun schon seit Wochen wieder milde Temperaturen herrschen. Auch heute, am 18. November ist es 15 Grad warm, und unsere Wäsche flattert draußen im Sonnenschein.

Grundsätzlich habe ich dagegen, wie gesagt, nichts. Aber die Sorge, die zur Zeit wohl alle Hobbygärtner umtreibt, ist: Welche Auswirkungen hat die außerplanmäßige Blüte auf die Pflanzen? Es steht zu befürchten, dass die momentane Wachstumsphase auf Kosten des Farbenreichtums im nächsten Frühjahr geht, wenn die neuenTriebe vom zu erwartenden Winterfrost gekillt werden und die Pflanzen sich nicht mehr rechtzeitig von dem Kälteschock erholen können. Und dass die verkürzte Ruhephase viele Blüh- und Nutzpflanzen aus dem Gleichgewicht bringen wird. Nichts Genaues weißman zwar nicht, es fehlt die Erfahrung, aber sicher ist: Die Pflanzen, die bereits im Herbst ihre Knospen für das nächste Jahr bilden, wie Rhododendren, Azaleen und Kamelien, werden ihr Pulver verschossen haben, wenn sie jetzt blühen. Für die Knospenneubildung wird keine Zeit mehr sein.

Was könnte aber deprimierender sein als ein Frühling ohne Farben? Worauf soll ich mich dann an nieselgrauen Wintertagen freuen? Statt Sommer im Frühling, Herbst im Sommer und Frühling im Herbst hätte ich dann doch lieber wieder die gewohnten vier Jahreszeiten, und zwar in der richtigen Reihenfolge. Alles zu seiner Zeit!

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