Es wäre vernünftig, alles etwas langsamer angehen zu lassen. Doch das ist nichts für sie. "Dann kommen von außen wieder so viele Anregungen, dass ich doch nicht so ruhig bleiben kann wie eigentlich geplant", sagt Kirsten Boie. Die Hamburger Schriftstellerin feiert am 19. März ihren 75. Geburtstag, im Familienkreis. Seit Jahrzehnten zählt sie zu den beliebtesten und erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen im deutschsprachigen Raum. Über 100 Werke hat sie bereits veröffentlicht, sie engagiert sich für die Leseförderung in Deutschland und Aids-Waisenkinder in Afrika.
Ihre Bücher erzählen vom fröhlichen Kinderalltag im "Möwenweg", mittelalterlichen Drachen und Freundschaft in "Der kleine Ritter Trenk", vom Meerschweinchen "King-Kong" ebenso wie von Flüchtlingen, Mobbing, Obdachlosigkeit und Krieg. Bekannte Bücher für ältere Kinder sind "Alhambra", "Ringel Rangel Rosen" oder "Schwarze Lügen". Einige ihrer Werke sind verfilmt worden oder laufen als Serien im Kinderfernsehen.
Zum Schreiben kam Boie eher zufällig. 1950 in Hamburg geboren, studierte sie Germanistik und Anglistik auf Lehramt, promovierte im Fach Literaturwissenschaft und arbeitete als Lehrerin. Als sie in den 1980er Jahren mit ihrem Mann ihren Sohn und ihre Tochter adoptierte, musste sie ihren Beruf aufgeben, das gab das Jugendamt vor. Inspiriert durch ihre Erfahrungen schrieb die 34-Jährige ihr erstes Kinderbuch "Paule ist ein Glücksgriff" über ein dunkelhäutiges Adoptivkind. Ein Erfolg.
Erschreckend findet sie den Rechtsruck
Heile Welt ist nicht Boies Welt: Schon als junge Lehrerin wechselte sie auf eigenen Wunsch vom gut-situierten Gymnasium an eine Gesamtschule. Ein Schlüsselerlebnis. "Es hat mir gezeigt, wie tief soziale Ungleichheit tatsächlich greift", erinnert sie sich. Später behandeln ihre Bücher immer wieder soziale Themen, wie etwa das Kinderbuch "Ein mittelschönes Leben" über einen obdachlosen Mann.
Erschreckend findet Boie den aktuellen Rechtsruck in der Gesellschaft. Zumindest im Kleinen hält sie dagegen. Im Jugendbuch "Dunkelnacht" geht es um Nazi-Verbrechen. Boie: "Meine Hoffnung ist, dass es schon hilft, wenn die Jugendlichen erfahren, was die Nationalsozialisten getan haben."
Warum sie am liebsten für Kinder und Jugendliche schreibt, könne sie gar nicht so genau sagen: "Mein erstes Buch war ein Kinderbuch und jetzt fällt mir für die Altersgruppe einfach auch immer am meisten ein", sagt sie. Die Autorin empfindet dies als besonderes Privileg: "Die Bücher, die Kinder lesen, prägen sie meist ein ganzes Leben." Und sie möchte spannende Geschichten erzählen. "Das haben die Kinder verdient, die sich die Mühe machen, das Buch zu lesen."
Boie schreibt Abenteuergeschichten wie die von "Seeräubermoses", erzählt über Sorgen und Nöte, aber auch darüber, was glücklich macht. Sie schreibt über Lügen oder schwierige Familienverhältnisse, über Angst haben, Cool sein und Verletztwerden. Eher nebenbei vermittelt sie Werte wie Toleranz und Verständnis.
Nicht selten greift sie Vorurteile auf und kehrt sie um. "Die Ideen fliegen mir zu", sagt Boie. Und wenn die Kreativität mal stockt, nutzt sie die Zeit einfach anders, zum Beispiel um mal den Keller aufzuräumen, wie sie erzählt. Mit ihrem Mann lebt sie im schleswig-holsteinischen Barsbüttel, wo sie in ihrer Freizeit am liebsten im Garten sitzt und liest.
Die Leseförderung ist Boie ein besonderes Anliegen: 2018 startet sie mit anderen Prominenten die Hamburger Erklärung "Jedes Kind muss lesen lernen", mehr als 119.000 Menschen unterzeichnen die Petition. "Den meisten Eltern ist inzwischen bewusst, dass sie vieles für ihre Kinder tun können. Ich glaube schon, dass sehr viel mehr vorgelesen wird", sagt Boie. Trotzdem engagiert sie sich weiter: "Gerade die Kinder, die wir ganz dringlich erreichen müssten, also etwa solche mit Migrationshintergrund, erreichen wir immer noch zu wenig."
Neben dem Schreiben kümmert Boie sich um ihr Herzensprojekt: Mit ihrer Möwenweg-Stiftung hilft sie Waisenkindern in Eswatini, das zwischen Südafrika und Mosambik liegt. Die Stiftung kümmert sich in rund 100 Betreuungshäusern um 3.000 bis 4.000 Kinder.
Für ihr Werk und Engagement hat Boie zahlreiche Auszeichnungen erhalten, den Evangelischen Buchpreis, den Gustav-Heinemann-Friedenspreis, den Deutschen Jugendliteraturpreis. Bereits 2007 erhielt sie den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk, dabei ist das noch längst nicht abgeschlossen. Ihre nächsten Projekte will Boie noch nicht verraten: "Aber ich freue mich schon darauf!"