40 Prozent der Briten glauben angeblich an Gespenster. Jedes Haus (bzw. jeder Hausbesitzer), das etwas auf sich hält, nennt einen Geist sein eigen. Durch manche der haunted houses huschen angeblich schon seit Jahrhunderten durchsichtige Gesellen, in manchen erst seit Kurzem. In jedem Fall geht dem Spuk aber ein Unglück voraus, Mord, Totschlag oder ein tragischer Unfall.
Und nun also auch bei uns. Jedenfalls dachte ich das für einen kurzen Moment, als ich neulich in mein Arbeitszimmer kam. Geisterhaft, nur als weißlich-grauer Schimmer, aber doch deutlich sichtbar, war am Fenster die Silhouette einer Ringeltaube zu erkennen (siehe Foto). Flügel, Bauch, Füße, alles bis ins kleinste Federchen auszumachen, nur der Kopf fehlte. Sollte Woody etwas zugestoßen sein? Wurde er etwa enthauptet, vom Sperber oder Nachbars Katze, und nur seinem Geist gelang es zu entkommen? Möglich wär's.
Nun bin ich aber keine Engländerin und neige deshalb eher zu profanen Erklärungsansätzen auch für ungewöhnliche Vorkommnisse. Ich gehe davon aus, dass der Täuberich mit seinen zirka 500 Gramm Lebendgewicht gegen die Scheibe geknallt ist und durch die Beschichtung der Federn einen detailreichen Abdruck an der Scheibe hinterlassen hat. Im Fenster spiegelt sich die meterhohe Thuja, die Woody gern für seine Nestbauversuche anfliegt - Spiegelungen gelten als eine der Hauptursachen für Vogelschlag. Vogelschlag lautet der Fachausdruck für den Tod an der Fensterscheibe. Eine Viertelmillion Vögel fallen in Europa täglich den für sie unsichtbaren Hindernissen zum Opfer, schätzt der Naturschutzbund Deutschland.
Dagegen helfen nur dreckige Scheiben. Die ich zwar bis zu einem gewissen Grad durchaus toleriere, insbesondere wenn sich die hausfrauliche Nachlässigkeit mit Tierschutz begründen lässt. Aber auch bei mir kommt irgendwann der Punkt, an dem ich gern wieder den Sonnenschein ins Haus lassen möchte. Beziehungsweise aus dem Fenster schauen will, unter anderem, um das Treiben der Vögel zu beobachten.
Greifvogelsilhouetten sind zum Schutz gegen Vogelschlag laut Forschungsberichten einigermaßen wirkungslos, zumindest, wenn sie schwarz sind und nur vereinzelt angebracht werden. Am besten funktionieren offenbar Streifen, die im Abstand von vier bis zehn Zentimetern senkrecht von außen (damit der Effekt nicht durch die Spiegelung wieder verlorengeht) aufgeklebt werden. Zu gefakten Gitterstäben konnte ich mich aber bisher nicht durchringen, auch wenn ich natürlich weder Woody noch unserer Scheibe eine Wiederholung des Unfalls zumuten möchte.
Der Ringeltäuberich läuft übrigens wieder recht munter, samt Kopf und verfressen wie immer, auf unserem Rasen umher. Er hat den Zusammenstoßoffenbar gut überstanden. Gemessen an der Wucht, die der Aufprall gehabt haben muss, könnte man fast sagen: gespenstisch gut.
P.S.: Eine Eule aus Nordengland hat es neulich sogar bis in die deutschen Medien geschafft. Die BBC zeigte aus diesem Anlass eine Fotogalerie mit Bildern der Leser.
Was Sie gegen Vogelschlag tun können:
- Fenster möglichst wenig putzen, um Spiegelungen zu vermeiden. Manche Autoren empfehlen auch, eine Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor dünn von außen auf die Scheiben aufzutragen (Vögel können den für uns unsichtbaren Schmierfilm erkennen).
- Am besten funktionieren offenbar Streifen, die im Abstand von vier bis zehn Zentimetern senkrecht von außen aufgeklebt werde.
- Die beliebten Greifvogelsilhouetten (die von anderen Vögeln nicht als Feinde, sonder lediglich als Hindernisse wahrgenommen werden, Sie könnten also auch Donald Duck oder Pinocchio aufkleben) sind nur wirksam, wenn sie am besten rot oder gelb sind und dicht an dicht von außen(!) auf die Fenster aufgebracht werden.
- Für Hausbesitzer interessant: Es gibt speziell beschichtete Scheiben, die vor ungewollten Zusammenstößen schützen.
- Futterstellen weit von den Fenstern entfernt aufstellen.
- An öffentlichen Gebäuden mit großen Fensterfronten, gläsernen Bushaltestellen und Telefonhäuschen und ähnlichen für Vögel unsichtbaren Hindernissen könnten oftmals durchaus vogelfreundliche Klebestreifen angebracht werden. Vielleicht lohnt sich ein Hinweis an den Besitzer/Betreiber.