Ja, sie leben noch

Ja, sie leben noch
Wenn sonst nichts anliegt, kann man ruhig mal schauen, was die gedruckten Medienseiten eigentlich den ganzen Tag so machen, und feststellen: Man ist dort gefangen zwischen Sparte und Zeitloch. Außerdem: Vom überraschend oberflächlichen Modelbusiness, der Gebührendebatte der Zukunft in Großbritannien und Südtirol aus Sicht von Berlinern. Außerdem trifft Spiderpig den „Geld-Check“.

„Die Nachfrage nach tagesaktuellen Informationen auf digitalen Plattformen wächst seit Jahren, und dennoch spielen Presseerzeugnisse weiterhin eine zentrale Rolle auf dem Medienmarkt.“

Wäre ich Verleger, würde ich mir diesen Satz aus der heutigen NZZ vermutlich sofort in Kreuzstich und Lebensgröße für die Dekoration meines Büros aufarbeiten lassen. Print lebt, das hat das deutsche Verlagswesen doch schon immer gewusst. (Dass die Studie, aus der die NZZ zitiert, sich auf den Schweizer Medienmarkt bezieht und ebenso betont, dass die gedruckten Zeitungen mit Erfolg gratis verteilt werden, kann man kurz ignorieren zugunsten der Einschätzung „In den kommenden Jahren wird man erkennen können, ob und wie schnell der Konsum digitaler Informationen jenen von Pressetiteln zurückdrängen wird. Derzeit scheint es so, dass Totgesagte länger leben, als es Fortschrittsorientierte glauben mögen.“)

Aber das hier ist ja nicht Verleger Insight, sondern das Altpapier, und daher werden Studien nicht beklatscht, sondern angewandt.

Wenn Print immer noch so zentral ist auf dem Medienmarkt, müssten die wichtigsten Themen des Tages sich nicht als Aufmacher auf den Medienseiten finden? Mal schauen.

In der FAZ beschreibt Nina Rehfeld ausführlich, dass Matt Dillon sich vor Kälte in der kanadischen Wildnis lieber mit der eigenen Jacke schützt, und dass sich am Set seiner neuen Mystery-Serie „Wayward Pines“ unheimliche Raben tummelten.

„Die Serie ,Wayward Pines’ beginnt am Donnerstag, 14. Mai, um 21 Uhr auf dem Abokanal Fox, zu empfangen über Sky, im Kabel, über Satellit und als Internetfernsehen.“

Meanwhile, back at the SZ, nimmt Nadja Schlüter die Planungen von Netflix, ein Spinn-off von „Full House“ namens „Fuller House“ zu drehen, zum Anlass, sich der Tradition der Sitcoms zu widmen.

(„Im Heimatland USA hat die Sitcom eine lange Tradition, es gibt zahlreiche wissenschaftliche Publikationen darüber. In Deutschland hingegen gibt es wenige eigene Produktionen und wenig wissenschaftliches Interesse. Gerd Hallenberger allerdings liebt Sitcoms, privat und als Professor für Medienwissenschaften auch beruflich. Der gesellschaftliche Impact sei ,vergleichbar mit dem der Werbung’, sagt er, ,sie setzen nie Trends, sondern greifen existierende auf und verstärken sie.’“)

An Tagen, an denen der Abokanal Fox, empfangen über Sky, bombastische Einschaltquoten hat, liegt der Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe bei 2,2 Prozent.

Von Netflix kennt man in Deutschland gar keine Nutzerzahlen. Im FAS-Interview von diesem Wochenende hat Gründer Reed Hastings aber unwidersprochen stehengelassen, dass man von dem Plan, in fünf bis sieben Jahren in jedem dritten Haushalt vertreten zu sein, noch meilenweit entfernt sei.

Woraus wir lernen, dass die gedruckten Medienseiten am heutigen Tag mal wieder Serien besprechen, die geraten 99,8 Prozent ihrer Leser niemals sehen werden. So viel Liebe zur Sparte muss man sich als Medium mit Anspruch auf eine zentrale Rolle erst einmal trauen.

Halt! Moment! Die FAZ hat auch noch einen Aufsetzer, der sich den wesentlich massenkompatibleren Tiptop-Modellen aus dem Hause Klum widmet, die jungen Frauen nicht nur ein schreckliches Vorbild seien, sondern diese auch noch in die Magersucht trieben. Und nein, dieser Artikel von Michael Hanfeld ist nicht durch ein Versehen aus dem Jahr 2008 auf die Seite gerutscht, sondern aktuell, wobei sich der Aufhänger durchaus zu rekonstruieren lohnt:

Im April hat das beim BR angesiedelte „Internationale Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen“ eine Studie veröffentlicht, für die Mädchen mit Magersucht befragt wurden, und in der Sätze stehen wie

„Entsprechend verwundert es nicht, dass 70 Patientinnen dieser Befragung der Sendung ,Germany’s Next Topmode’ einen ,sehr starken Einfluss’ und weitere 72 immerhin noch ,etwas Einfluss’ auf ihre Krankheit bescheinigen. Denn Menschen suchen sich das symbolische Material, in dem sie ihre handlungsleitenden Themen finden und sich und ihre Identität weiterentwickeln können. GNTM wird zur Identitätsarbeit eingesetzt. Gerade wenn die jungen Frauen dann bestimmte Persönlichkeitsprofile haben und sich von dem Konzept ,Unternehmerin ihrer selbst’ angesprochen fühlen, kann der Weg der Selbstoptimierung des eigenen Körpers und Verhaltens sie in eine schwere psychosomatische Störung führen.“

Ende April hat die Bild-Zeitung das zum Anlass genommen, Psychiater Dr. Manfred Lütz zu interviewen und ihm Sätze zu entlocken wie

„,Germany’s Next Topmodel‘ nimmt eiskalt den Tod junger Mädchen in Kauf“.

Worauf nun wiederum Michael Hanfeld seinen Artikel für heute aufbaut, ohne jedoch auf die aktuellste Entwicklung einzugehen – die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat angekündigt, die Sendung vom Jugendschutz prüfen zu lassen, wie bereits vor Tagen die Neue Osnabrücker Zeitung herausfand.

Ganze zehn Staffeln „Germany’s next Topmodell“ mussten also – immer wieder begleitet von Kritik am Frauenbild und falschen Schönheitsidealen, die die Sendung vermittele - laufen, bis die MABB die Kommission für Jugendmedienschutz auf ihre Fährte schickt. Damit kommt die Überprüfung zu einer Zeit, in der längst keine der jungen Frauen mehr vor der Kamera für ihr Gewicht kritisiert wird, sondern alle ständig gemeinsam gesund kochen und Heidi Klum sich gerne auch mal am Ende eines Castingtages öffentlichkeitswirksam einen Döner reinzieht.

Und Michael Hanfeld zitiert absatzweise aus der Bild-Zeitung.

Kommen wir noch einmal auf das FAS-Interview mit Reed Hastings zurück, der sagte:

„Ich vergleiche die Sender gerne mit dem Telefon. Natürlich gibt es noch das Festnetz, hier in meiner Hotelsuite steht auch so ein Gerät herum. Aber das benutzt kein Mensch. Alle haben Smartphones.“

Der FAS war das noch nicht knallig genug, sodass sie sich daraus die schöne Überschrift „ARD und ZDF braucht kein Mensch“ zusammenreimte. Was man als Verlag, der neidisch auf das Erlöskonzept der öffentlich-rechtlichen Sender schielt, natürlich viel lieber liest als die Aussage, dass die technische Entwicklung selbst Dinosaurier wie das Festnetztelefon erledigt, einstmals zentrale Rolle auf dem Medienmarkt hin oder her.


Altpapierkorb

+++ Ja, gibt es denn an diesem Dienstag gar keine spannende, aktuelle Meldung, sodass wir uns ernsthaft mit dem Inhalt der gedruckten Medienseiten auseinandersetzen müssen? Tut mir leid, aber ich kann doch auch nichts dafür, dass die Medienmedien lieber Spartenserien besprechen, als sich etwa schon wieder an der NSA abzuarbeiten und dem No-Spy-Abkommen, das niemals greifbar war, wie die SZ am Wochenende enthüllte, was die Bundesregierung nun einfach abstreitet. +++

+++ Stattdessen zum Beispiel im Tagesspiegel: Joachim Huber klärt auf, dass ein Ex-Topmodell nun eine Schnellbäckerei betreibt und eine Weitere aus dem Business aufgestiegen ist, weil: „Es habe sie gestört, immer nur auf ihr Äußeres reduziert zu werden.“ Wer rechnet im Mode-Business denn mit sowas? +++

+++ Die taz wiederum schreibt auf, dass manche Printangebote nun das Heil da suchen, wo sich auch die Krautreporter schon bemüht haben: in der Vertonug ihrer Texte durch detektor.fm. +++ Zudem geht es darum, dass es nicht im Sinne von Inklusion sein kann, wenn so wenig Menschen mit Behinderungen im Fernsehen auftauchen, so wie es derzeit der Fall ist. +++

+++ Der Guardian berichtet, dass die BBC nach 2026 eventuell mit weniger Gebühren klarkommen muss, wie der neue Kulturminister John Whittingdale nun angekündigt hat. +++

+++ Bei der Medienwoche schreibt Ronny Grob über Journafrica, wo keine Korrespondenten, sondern Menschen aus Afrika über Afrika berichten, um folgendes Problem zu lösen: „Einige von ihnen flippen fast aus, wenn jemand ,Züricher’ statt ,Zürcher’ schreibt oder wenn jemand Baselland, Baselstadt und Kleinbasel durcheinanderbringt. Und finden gleichzeitig nichts dabei, Senegal und Sambia in einen Topf zu werfen.“ +++

+++ Apropos Zürcher: Die NZZ hat heute nicht nur die eingangs beschriebene Studie im Programm, sondern auch einen Kommentar, warum Charlie Hebdo eben nicht antiislamisch, antimaghrebinisch und antiarabisch sei, wie Mitglieder des amerikanischen Pen-Zentrums nun unterstellten. +++

+++ Aropos Studie: Eine aus den USA hat gerade herausgefunden, dass vor allem Journalistinnen Burnout-gefährdet seien, lässt sich bei kress.de nachlesen. +++

+++ Nicht unterschlagen werden soll, dass auf der Medienseite der SZ heute auch noch geklärt wird, dass Südtirol offenbar ein Magazin braucht, das die Welt von Berlin aus erklärt. 39Null heißt das Werk, über das Lena Schnabl schreibt: „,Am Anfang war es als Post von uns Exilsüdtirolern an die Südtiroler zu Hause gedacht’, sagt Martina Wunderer, die Lektorin der Hefte. Das zeigt schon der Titel: Mit den Ziffern 390 beginnen die Südtiroler Postleitzahlen. Aus dem Vinschgau dort stammen alle vier Macher. Und ihnen fehlten Magazine ,mit anspruchsvollem Inhalt und Erscheinungsbild’, sagt Wunderer. Dazu komme die Monopolstruktur in den Medien: Die meisten Blätter in Südtirol stammen aus dem Athesia-Verlag, viel Abwechslung gibt es da nicht.“ +++

+++ Last but... Sie kennen das: Stefan Niggemeier hat am Sonntag nach der Bremen-Wahl die „Berliner Runde“ gesehen und ist nicht zufrieden. „Andererseits hätte Becker auch genauso gut kurz in die Runde hätte fragen können: ,Tja, Bremen. Auch egal, oder?’, und alle hätten mit den Achseln gezuckt, und nach dreißig Sekunden wären sie was trinken oder arbeiten gegangen und die ARD hätte stattdessen einen schönen Naturfilm gezeigt oder was von Loriot.“ +++ Dafür muss man der Runde zugestehen, dass ihr Moderator immerhin nicht von der Decke hing, so, wie der HR es in der vergangenen Woche für seinen „Geld Check“ inszenierte (noch einmal Stefan Niggemeier): „Cappelluti hängt da spinnenartig an der Decke, weil das technisch und architektonisch möglich war. Und wenn man es mit Tricks so aussehen lassen kann, als hinge der Moderator spinnenartig an der Decke, ist das Grund genug für den ,Geld-Check“’ im Ersten, den Moderator spinnenartig an der Decke hängen zu lassen.“ +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

weitere Blogs

Martinstag ist ein schöner Feiertag: die bunten Lichter im Novembergrau, die Martinsmänner, die Geschichte vom geteilten Mantel.... aber man kann noch viel mehr tun, als dieser Bischof von Tours.
Manche halten sie einfach für Drag Queens, doch die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz sind eine nicht-religiöse Ordensgemeinschaft mit sehr klarem Auftrag. Einblicke aus dem Ordensalltag von Sr. Magdalena.
In den USA sind manche Schnellrestaurants durchaus religiös.