Out of Africa

Eine somalische Familie, die vor der Dürre in ihrer Heimatregion in die Stadt Baidoa geflohen ist sitzt vor einem Zelt in einem Flüchtlingscamp in Afrika.
Eva-Maria Krafczyk/dpa
Länder wie Äthiopien zeigen, dass Solidarität auch unter oft schwierigeren Bedingungen gelebt werden kann.
mission.de
Out of Africa
Während Europa über Grenzen und Kapazitäten diskutiert, um sich gegen geflüchtete Menschen abzuschotten, zeigen afrikanische Länder wie Äthiopien, dass Solidarität auch unter oft schwierigeren Bedingungen gelebt werden kann.

Flucht und Migration haben jedoch vielfältige Ursachen, die auch mit globaler Ungleichheit und kolonialer Vergangenheit verwoben sind. Wie können langfristige, nachhaltigen Lösungen, die zu stabilen und prosperierenden Gemeinschaften führen, gefördert werden? Und wie können Gesellschaften gut mit Geflüchteten umgehen? Mirjam Laaser wirft einen Blick auf Projekte in Äthiopien, Malawi und Südafrika, gibt Antworten und wirft Fragen auf, die auch unsere Gesellschaft betreffen.

Als 2014 in Europa etwa eine Million Geflüchtete ankamen, Angela Merkel sagte "wir schaffen das" und Joachim Gauck warnte, "unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich", und Pegida, Hagida etc. auf den Straßen demonstrierten, nahm die sehr viel kleinere Republik Äthiopien etwa die gleiche Anzahl von Geflüchteten aus den umliegenden Ländern auf, wie die gesamte Europäische Union. Angesichts der Zahlen kann man Respekt gewinnen vor dem, was andere Länder leisten und Scham, wie wir vergleichsweise geringe Zahlen von Geflüchteten als Naturkatastrophe bezeichnen ("Flut von Geflüchteten"). Ich erinnere mich an die ersten Vorträge, die ich damals hielt, bei denen es um eine Zahl von etwa 65 Millionen Geflüchteten weltweit ging. Heute – etwa zehn Jahre später, hat sich die Zahl mit ca. 122 Millionen Menschen auf der Flucht fast verdoppelt – Tendenz steigend.

Die Welt ist weiterhin geprägt von einer Vielzahl von Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Und in den vielen Jahren, in denen ich mich mit dem Thema beschäftige, hat sich der Eindruck verfestigt, dass religiöse, ideologische, ethnische und andere Unterschiede instrumentalisiert und neu erfunden werden, um machtpolitische Interessen durchzusetzen. Geflüchtete hingegen haben selten eine Lobby.

Auswirkungen kolonialer Wirkungsgeschichte?

Gewachsen ist in den Jahren vor allem die schmerzliche Einsicht in eine Wechselbeziehung: Der zunehmende Reichtum der bereits Wohlhabenden bedingt weltweit eine Zunahme der Armut und Verelendung der anderen. Und so bleiben Flucht und Migration aktueller denn je. Laut dem niedersächsischen Demokratie Monitor (Dezember 2024) sind Migration und Zuwanderung mit 26 Prozent an erster Stelle als wichtigstes Problem genannt. Das Thema polarisiert, prägt aktuelle Debatten und Politik und eignet sich zur politischen Instrumentalisierung.

Liest man Joachim Gaucks Aussage "Unser Herz ist weit" als gesinnungsethisches und "unsere Möglichkeiten sind endlich" als verantwortungsethisches Statement, dann stelle ich mir die Frage, ob wir den Verantwortungsbegriff nicht geschichtlich ausweiten müssten. Begegnen wir mit den hier sprachlich diffamierten "Wirtschaftsflüchtlingen" letztendlich nicht den Folgen unserer eigenen kolonialen Wirkungsgeschichte? Die Herausforderungen der Aufnahme und Integration von Geflüchteten lassen sich nicht mit dem Hinweis auf Außengrenzen beantworten. Sie sind auch hausgemacht. Ein Blick in die Kontinente, die wir gemeinhin mit "Migrationsströmen" nach Europa verbinden, lohnt für eigene Lernerfahrungen.

Verbesserung der Lebensbedingungen

In den letzten zehn Jahren konnte ich den Umgang mit Flucht und Migration in mehreren afrikanischen Ländern kennenlernen. Im Jahr 2013 beschloss die Landessynode der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, sich neben ihrem Engagement in Niedersachsen für Geflüchtete in Afrika einzusetzen. Der Beschluss, der in seiner Form und Ausrichtung beispiellos war, zielte darauf ab, mit einem ganzheitlichen Ansatz die Lebenssituation von Menschen zu verbessern, die von Flucht oder Migration bedroht sind.

Das Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen (ELM) hat infolgedessen in enger Zusammenarbeit mit lutherischen Partnerkirchen in Äthiopien, Malawi und Südafrika über die Jahre eine Vielzahl von Projekten bezuschusst, in denen nicht nur auf die Symptome von Flucht und Migration reagiert wird, sondern vor allem auf die strukturellen und gesellschaftlichen Ursachen. Im Zentrum steht eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen und der Gedanke der Prävention und Konfliktbewältigung. Zentrale Themen wie der Zugang zu Bildung, die Förderung von Einkommensmöglichkeiten, psychosoziale Unterstützung und der Schutz von Menschenrechten wurden in den Projekten adressiert.

Richte keinen Schaden an!

In Äthiopien habe ich die Förderung von Friedensinitiativen und die Unterstützung von Gemeinden, die unter den Auswirkungen von Konflikten und Gewalt litten, kennengelernt. Am Horn von Afrika sind bewaffnete Auseinandersetzungen und politische Instabilität direkte Ursachen für Flucht und Migration. Die Projekte setzten auf die Förderung von Dialog und die Entwicklung von Mechanismen zur friedlichen Konfliktbewältigung, um so die Spannungen in den betroffenen Gemeinschaften zu verringern und langfristig die Voraussetzungen für eine stabile und friedliche Zukunft zu schaffen (do-no-harm-Ansatz oder auch "richte keinen Schaden an").

Die weltweit erprobten Instrumente, in denen Kontexte und unterschiedliche Interessengruppen gründlich analysiert werden und in Dialogformaten ausgehandelt wird, wie man die Situation für alle Beteiligten lebbar machen kann, wäre vielleicht auch für Konflikte in unterschiedlichen Sozialräumen bei uns umzusetzen. Dies beinhaltet eine entsprechende Grundhaltung: zuhören, verschiedene Meinungen aushalten, gemeinsam um Lösungen ringen und – weil dies so leicht als selbstverständlich verbucht wird – unseren Reichtum nicht als gegeben hinnehmen.

Gehen oder bleiben?

In den Kontexten der drei Länder der Partnerkirchen sind grundlegende soziale und wirtschaftliche Infrastrukturen häufig nicht ausreichend vorhanden. Der Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur sind Grundlagen für ein besseres Leben, aber vor allem bieten sie eine Perspektive. In Malawi habe ich kennengelernt, wie Menschen im ländlichen Raum durch diese von Strukturdefiziten geprägten Regionen darum ringen, nicht zu Klimaflüchtlingen zu werden und sich gemeinsam engagieren, damit z. B. nicht alle in die Städte abwandern. Kenntnis in alternativem Landbau, berufliche Ausbildung und eine Basis für kleine Unternehmen für mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit sind nur ein Teil der Geschichte. Ohne ein soziales Netzwerk, ohne andere junge Menschen die miteinander nach Möglichkeiten suchen, klappt so etwas nicht. Die Gemeinschaft fördert die soziale Stabilität, indem den Menschen Perspektiven aufgezeigt werden und sie in ihren Anliegen/Problemen nicht alleine dastehen.

Was braucht es jenseits von "Dach und Brot im Fach und Wasser im Haus …" (Reiner Kunze), damit nicht nur Grundbedürfnisse befriedigt werden, sondern ich mich verbunden fühlen kann? Gerade wenn Menschen aufgrund ihrer Flucht entwurzelt sind, macht es wenig Sinn, sie ihrer Selbstwirksamheit zu berauben (z. B. in dem sie nur eine Bezahlkarte bekommen). In so einer Situation hat man in der Regel fast nichts und möchte doch Anwält*in des eigenen Lebens sein. Ob in ländlichen Kontexten oder in der Stadt – Menschen brauchen eine Einbindung in Netzwerke, um sich beheimatet zu fühlen. Das gilt für Geflüchtete ebenso wie für Menschen, die schon länger ansässig sind. Das könnten also auch Netzwerke mit Menschen vor Ort sein und nicht nur über Grenzen hinweg.

Zivilgesellschaft stärken

Die Sicherstellung rechtlicher Sicherheit und der Zugang zu sozialer Absicherung sind in vielen betroffenen Regionen nicht selbstverständlich. Hier braucht es nicht nur staatliche Programme, sondern auch eine starke Zivilgesellschaft. Ein wichtiger Erfolg der Projekte in Äthiopien, Malawi und Südafrika war die Erkenntnis, dass die Hilfe zur Selbsthilfe langfristige positive Effekte hatte. Die Menschen wurden nicht nur in ihrer Not unterstützt, sondern erhielten auch die Werkzeuge, um sich selbst aus ihrer prekären Lage zu befreien. Dies stärkte nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern auch die sozialen Strukturen in den betroffenen Regionen.

Dafür braucht es Raum für den Austausch von Ideen und für die kollektive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen. Eine aktive Zivilgesellschaft ist oft der Motor für soziale Veränderungen, da sie als Katalysator für das Einfordern von Rechten, den Aufbau von Solidarität und die Verstärkung von Verantwortungsbewusstsein innerhalb der Gemeinschaften fungiert. Das ist auch bei uns angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen von zentralem Interesse.

Ausblick: mit leichtem Gepäck

Die Zerbrechlichkeit und Gefährdung von Leben erleben wir auch bei uns. Das schwindelerregende Tempo, in dem Veränderungen stattfinden, verlangt nach einem konstruktiven Umgang mit Pluralisierung, Diversität, sozialer Ungleichheit und Armut. Wir brauchen neue Modelle von Dialog und Begegnung, um nachhaltig gesellschaftlichen Frieden zu fördern. Ein Kirchenpräsident, der in Gambella, einem Konfliktgebiet im Westen Äthiopiens, eine Fußwaschung unter verfeindeten ethnischen Gruppen innerhalb der Kirche durchführt, ist ein Symbol für die Möglichkeit, Verständigung zu leben, ohne Andere auszugrenzen.

Ich denke, dass unser Handeln und die Wege, die wir einschlagen müssen, unsere Vorstellungen immer wieder fordern werden. Es werden uns weiterhin unterschiedliche Bildungskonzepte, unterschiedliche Herangehensweisen an Geschlechterordnungen, unterschiedliche Versionen der anzustrebenden Lebenswelten entgegentreten. Diese Herausforderung zu meistern, gelingt nur, wenn wir soziale Netze in unserem Land knüpfen, die Vielfalt einschließen. Mit Fäden, die unterschiedliche Farben haben. Dieses bunte soziale Band trägt vielleicht mehr, als wir denken.

evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.