evangelisch.de: Sie haben selbst ein FSJ gemacht und arbeiten heute für die Kirche: Zufall oder hängt das irgendwie zusammen?
Dr. Katrin Juschka: "Das war das beste Jahr meines Lebens", habe ich damals gesagt, als mein Freiwilligendienst zu Ende war. Für mich war es eine erste große Erfahrung der Selbstständigkeit, nach der Schule etwas Praktisches zu machen und dabei zu merken: Wenn ich mich mit meinen Gaben einbringe, tut es nicht nur mir selbst gut und bereichert mich. Ich kann damit auch Gutes für andere bewirken – ich sehe zum Beispiel dankbare und strahlende Augen als Effekte vor Ort. Für mich war das Empowerment: Ich habe sehr viele unterschiedliche Menschen in dieser Zeit kennen gelernt, die mich inspiriert haben, wenn wir über Gott und die Welt redeten – im wahrsten Sinne der Redewendung. Dass mein eigener Berufsweg mich dann dazu führte, Menschen zu begleiten, die sich freiwillig engagieren und gute Bedingungen für ihren Einsatz zu schaffen, ist also kein Zufall: Ich liebe es, unter Menschen zu sein, die engagiert anpacken wollen.
In Kirchenkreisen wird oft beklagt, dass Jugendliche nach der Konfirmation den Bezug zur Kirche verlieren. Ein Kontakt käme erst wieder zustande, wenn sie heiraten oder ihr Kind taufen lassen wollen. Wird die Rolle von Freiwilligendiensten übersehen?
Juschka: Das Interesse an Freiwilligendiensten wird schnell unterschätzt. Jedes Jahr engagieren sich rund 14.000 Freiwillige bundesweit bei evangelischen Trägern. Sie sind in diakonischen oder kirchlichen Einrichtungen tätig, meist für ein Jahr direkt nach der Schule. Viele wollen diese Zeit nutzen, so wie ich damals, um sich beruflich zu orientieren und herauszufinden: Was kann ich? Wo finde ich meinen Platz zum Wirken, was will ich mit meinem Leben machen? Das ist eine großartige Chance, um junge Freiwillige in diesem spannenden Prozess zu begleiten und mit ihnen gleichzeitig Projekte umzusetzen. Meiner Meinung nach bieten zu wenige kirchliche Einrichtungen attraktive Einsatzplätze dafür. Das ist doch verrückt, oder? Denn es sind engagierte Leute da, die sagen: Hier bin ich – ich bringe ein Jahr Zeit und Kräfte ein. Wir haben ihnen viele Möglichkeiten zu bieten und sollten das auch wirkungsvoller nach außen kommunizieren.
Was für Möglichkeiten gibt es durch Freiwilligendienste, um junge Menschen an Glaube und Kirche heranzuführen?
Juschka: Wir haben die Gelegenheit, zu zeigen, wie vielfältig Kirche ist und Glaube gelebt wird – denn oft gibt es wenig Wissen oder nur einseitige Vorerfahrungen mit vielen verstaubten Klischees. Wenn es gelingt, erhalten Jugendliche verschiedenartige Einblicke und machen positive Erfahrungen. Es entstehen Freundschaften und Kontakte, und sie erhalten Einsichten, an die sie anknüpfen können – manchmal auch erst viel später im Leben, wenn es "dran" ist. Das ist horizonterweiternd sowohl für Jugendliche, die bislang wenig Kirchen-Kontakt hatten – als auch für diejenigen, die einen Freiwilligendienst machen, um für sich zu testen, ob ein kirchlicher Beruf für sie das Richtige ist. Und es ist eine Win-Win-Situation, denn Kirchen profitieren von dem frischen Wind und Elan, den junge Freiwillige vor Ort einbringen.
Sie unterscheiden drei verschiedene Lernorte im Freiwilligendienst: die Einsatzstelle, die Seminare und die Seminargruppe. Welche Lernerfahrungen sind dort jeweils möglich, die ein positives Verhältnis zu Glaube und Religion fördern?
Juschka: In der Einsatzstelle, also in der Kirche oder Einrichtung vor Ort, sind es oft ein wertschätzender Umgang miteinander, der Teamgeist und die Motivation im Alltag, die nachhaltig prägend sind für positive Eindrücke. Welches Selbstverständnis haben die Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen für ihre Tätigkeit dort, wo wird vielleicht im Tätigsein vor Ort Glaube erlebbar? Das kann ich sichtbar und erfahrbar machen, wo der Glaube Hand und Fuß hat und konkret wird. Auch kommt es gut an, wenn zum Mitgestalten angeregt oder nach Ideen gefragt wird, indem ich anbiete und anleite, sich darin auszuprobieren, Verantwortung zu übernehmen für eigene Projekte.
Und was für eine Rolle spielen die Seminare, an denen Freiwillige teilnehmen müssen?
Juschka: Die Seminare bringen die Freiwilligen zusammen, um darüber zu reflektieren und reden zu lernen, was sie an Erfahrungen gemacht haben. Sie bieten Bildung für die persönliche Weiterentwicklung oder regen an, sich mit ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, wofür im Alltag der Einsatzstelle oft keine Zeit ist. Die Seminargruppe macht erlebbar, dass die Freiwilligen zwar gemeinsam in der gleichen Situation sind, was zu einem Wir-Gefühl zusammenschweißen kann, dass es allerdings auch große Unterschiede gibt, etwa bei Herkunft, Weltbildern und Glaubenshaltungen. Eine richtige Gemeinschaft entsteht, wenn diese Vielfalt respektvoll zur Sprache kommen kann und als Bereicherung anerkannt wird – auch das ist ein wichtiger Lernprozess.
"Ein Freiwilligendienst hat immer eine nachhaltige Wirkung"
Können Sie als Freiwilligenmanagerin feststellen, ob die Erfahrung eines Freiwilligendienstes dazu beiträgt, sich später ehrenamtlich in der Kirche oder für das Gemeinwohl zu engagieren?
Juschka: Ein Freiwilligendienst hat immer eine nachhaltige Wirkung: "Ehemalige" kommen gern zurück und unterstützen weiterhin, wenn es in ihrer Einsatzstelle gelungen ist, dass eine persönliche Beziehungsebene aufgebaut wurde. Wenn dann zum Mitmachen eingeladen wird und Möglichkeiten angeboten werden, sagen viele "ja", zum Beispiel zum Mitwirken in Ehrenämtern oder zu einem Kurzzeit-Engagement wie etwa ein projektbezogenes Mitvorbereiten eines Groß-Events. Übrigens: Ein großer Anteil derjenigen, die einen Freiwilligendienst machen, geht hinterher in soziale Berufe, wo sie die Erfahrungen einbringen werden, die sie aus dem Freiwilligendienst mitbringen. Hieran wird sichtbar, dass sie ein eigenes Anliegen entwickelt und tiefgreifend verstanden haben, wie wichtig es ist, etwas für unser gesellschaftliches Miteinander zu erreichen. Nicht wenige knüpfen dann an Kontakte oder Erkenntnisse von damals an und nehmen wichtige Multiplikationsfunktionen ein, um Freiwilligendienste weiterzuempfehlen. Wer gute Erfahrungen gemacht hat, sagt: Das ist etwas, was ich weiterverfolgen will, entweder hier im freiwilligen Engagement oder an neuen Orten und in anderen Kontexten.
Wie kann die Kirche das Potenzial von Freiwilligendiensten nutzen, um junge Menschen besser an sich zu binden?
Juschka: Das Potenzial und die Perspektive von jungen Menschen werden in vielen Bereichen benötigt. Alle Vorstände von Vereinen und Kirchen, die ich kenne, wollen auch junge Leute dabei haben. Wenn die Kirche es nicht schafft, jungen Engagierten einen Platz zu geben, wo sie etwas erreichen können, sich wohlfühlen und ihre Ideen ernst genommen werden, dann werden sie zu anderen Organisationen gehen, wo es bessere Rahmenbedingungen gibt. Ich finde, Freiwilligendienste sind ein evangelisches Erfolgsmodell seit vielen Jahrzehnten, wo die Begleitung der jungen Zielgruppe auf verschiedene Schultern und Lernorte verteilt ist. Das ermöglicht gute Strukturen für positive Erfahrungen mit Engagement. Es ist eine Entscheidung: Wollen wir in junge Menschen investieren und ihnen Zeit widmen, dass sie sich darin unterstützt und im förderlichen Sinn herausgefordert fühlen, Kirche engagiert mitzugestalten?
Über Freiwilligendienste im Einsatzfeld Kirche und Gemeinde informiert ein Themen-Special der evangelischen Freiwilligenbörse ein-jahr-freiwillig.de. Interessierte finden Stellenangebote für Freiwilligendienste in Kirchengemeinden sowie Erfahrungsberichte und Tipps für den Einstieg in kirchliche Berufe.