Andererseits könnte "Eine mit Herz" auch ein Sammeltitel sein, denn die Heldinnen von ARD-Freitagsreihen wie "Eifelpraxis" oder "Praxis mit Meerblick" sind allesamt Frauen mit Herz und Helfersyndrom, wie Billy in einem Moment der Selbsterkenntnis feststellt. Daran wäre natürlich nichts verkehrt, wenn nicht gleichzeitig auch ihr Privatleben für Turbulenzen sorgen würde.
Warum die Redaktion den Tragikomödien mit Aglaia Szyzskowitz einen neuen Titel verpasst haben, ist nicht recht ersichtlich, schließlich ist "Billy Kuckuck" ein eingeführtes Markenzeichen; andererseits hat der Wechsel einst beim Schokoriegel Raider ja auch funktioniert ("Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix"). Da die Ausstrahlung des letzten Films ("Mutterliebe", 2022) bereits eine Weile zurückliegt, wollte man offenbar die Zäsur nutzen. Außerdem gäbe es zumindest theoretisch einen formalen Grund, weil die schon längst vollzogene Trennung von Ehemann Gunnar (Gregor Bloéb) nun auch juristisch bestätigt wird, damit er seine neue Flamme heiraten kann, aber Billy behält den Nachnamen des Ex-Gatten, zumal "Kuckuck" ja auch perfekt zu ihrem Beruf passt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Wie stets sorgt das Drehbuch dafür, dass sich die beruflichen und privaten Herausforderungen die Waage halten. Auf diese Weise kommen auch beide Vorzeichen zur Geltung: Während es bei Billy daheim meist etwas chaotisch zugeht, weil der verknallte Ex-Nachbar Holger (Rüdiger Klink) einfach nicht einsehen will, dass sein Liebeswerben hoffnungslos ist, sorgen die in sich abgeschlossenen Erzählungen fürs Drama. In "Familiengeheimnisse", dem sechsten Film der Reihe, wird es sogar tragisch: Seit dem Unfalltod ihres Mannes hat Bäuerin Tanja Pohlmann (Franziska Wulf) jeden Lebensmut verloren und verkriecht sich auch tagsüber ins abgedunkelte Schlafzimmer. Ohne ihren fast volljährigen Sohn Niklas (Claude Albert Heinrich), der sich liebevoll um die kleine Schwester kümmert, wäre sie völlig aufgeschmissen.
Zu einem Fall für Billy Kuckuck werden die Pohlmanns, weil sich der Vater von einem Nachbarn Geld geliehen hat, um seiner Frau einen Hofladen zu finanzieren. Außerdem lastet eine Hypothek in Höhe von 100.000 Euro auf dem Hof. Als Röschke (Werner Wölbern) das Darlehen, von dem Tanja nichts weiß, zurück will, bringt er Niklas in die Bredouille: Der Junge steckt mitten im Abitur, hat aber bereits viel zu viele Fehlstunden angehäuft, weil er nebenbei arbeitet, um die Familie über Wasser zu halten. Weil er demnächst 18 und damit Herr auf dem Hof wird, macht der Nachbar ihm ein Angebot, das er im Grunde nicht ablehnen kann: Röschke würde ihm nicht nur die Schulden erlassen, sondern auch den Kredit tilgen; im Gegenzug würde Niklas ihm die Anbauflächen überlassen. Was zunächst wie die perfekte Lösung wirkt, hat zwei erhebliche Haken: Niklas’ Lebensentwurf – erst ökologische Landwirtschaft studieren, dann den Hof übernehmen – wäre geplatzt; und ohne Hofladen hätte seine Mutter keine Existenzgrundlage mehr.
Dass dieser Erzählstrang nicht nur inhaltlich funktioniert, hat viel mit Claude Albert Heinrich zu tun. Der junge Schauspieler mit den markanten Gesichtszügen hat sein großes Talent spätestens mit einer bemerkenswerten Leistung im ZDF-Weihnachtsmärchen "Dornröschen und der Fluch der siebten Fee" (2024) bewiesen. Während Darsteller in seinem Alter oft dazu neigen, zuviel zu wollen, vermittelt Heinrich mit stillem Spiel, was in Niklas vorgeht. Trotz ihrer wenigen Szenen sehr präsent und ein hochinteressantes neues Gesicht ist Naomi Diémé als verliebte Mitschülerin. Thomas Freundner (Buch und Regie, Koautor: Simon X. Rost), abgesehen vom Auftakt (2018) Regisseur aller "Billy Kuckuck"-Filme, hat auch die Amadea Schwolow (als Niklas’ selbstbewusste kleine Schwester) ganz ausgezeichnet geführt.
Gemessen an der Seriosität dieser Erzählebene ist der private Handlungsstrang etwas halbseiden. Holger ist eine Nervensäge und ohnehin eine Witzfigur, zu Billys Mutter (Ursela Monn) ist den Autoren auch nicht viel eingefallen. Großes Potenzial hat dagegen der schon im letzten Film eingeführte Jurist Elias (Ben Braun), der gern mehr wäre als nur Billys Scheidungsanwalt; wenn da bloß nicht ihre immer noch recht erheblichen Gefühle für Gunnar wären.