Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Mit gutem Grund haben die Mütter und Väter des Grundgesetztes sie in die Verfassung geschrieben, denn in der Nazi-Zeit galt sie nichts. Wer Kritik übte, wurde verfolgt, bestraft und nicht selten im Konzentrationslager ermordet.
Die Meinungsfreiheit gilt für alle und fast alles, aber nicht grenzenlos. Das Strafgesetzbuch sagt, wo sie endet. Bei Beleidung, Nötigung, Drohung, Volksverhetzung und: beim Zeigen verfassungswidriger und terroristischer Symbole. Auf dieser Grundlage hat nun die Jüdische Gemeinde Darmstadt Anzeige gegen die evangelische Michaelsgemeinde und die Palästina-Solidaritätsgruppe "Darmstadt4Palestine" erstattet. Zu Recht.
Was war geschehen?
Am vergangenen Wochenende hatte die propalästinensische Gruppe auf dem "Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt" der Michaelsgemeinde eine Reihe von Gegenständen angeboten, die an Israelkritik kaum zu überbieten sind. Kennzeichen der verbotenen Terrororganisation Hamas. Das rote Dreieck. Den Slogan "From the river to the sea", mit dem die Auslöschung Israel gefordert wird. Das ist Antisemitismus in Reinkultur.
Anderer Schauplatz: München. Hier gab es bis vor kurzem ein Anti-Israel-Lager. Das für sich ist nicht der Rede wert. Aber der Standort. Das Zelt befand sich in Sichtweite der Universität, in der Sophie Scholl und andere Mitglieder der Weißen Rose von der Gestapo festgenommen wurden, als sie Flugblätter in den Innenhof fallen ließen. Kurz darauf wurden die Widerständler zum Tode verurteilt und hingerichtet. In Erinnerung daran liegt vor dem Gebäude ein Bodendenkmal, das ein paar der Flugblätter zeigt. Inzwischen ist das Zelt geräumt.
Niemand verbietet es, den Krieg im Nahen Osten kritisch zu sehen, ist doch tatsächlich vieles kritikwürdig. Auch behauptet niemand ernsthaft, die Menschen in Gaza und im Libanon seien ihm oder ihr egal. Zu Recht beklagen wir die hohe Zahl der Toten und Verletzten. Jedes unschuldige Opfer ist eines zu viel. Das ist ja die Krux. Es ist ein schier unlösbarer Konflikt, in dem Unschuldige sterben, um Unschuldige zu retten: die Geiseln.
Trotzdem darf es so etwas wie in Darmstadt und München nicht geben. Nicht bei uns, die wir das Schlimmste über die Menschheit gebracht haben, das man sich vorstellen kann: den Holocaust. Da verbietet sich jedes "Ja, aber".
Darum dürfen wir auch Ursache und Wirkung im Nah-Ost-Krieg nicht verwechseln. Das bestialische Massaker der Hamas-Terroristen gegen Israel am 7. Oktober 2023 bleibt verbunden mit jedem Leid, das täglich geschieht.
Nicht nur die Meinungsfreiheit ist eine Folge der Nazi-Zeit, sondern auch unsere Verantwortung für das "Nie wieder". Darum dürfen wir nicht wegschauen. Darum dürfen wir nicht zulassen, dass Antisemitismus offen zur Schau gestellt wird. Darum müssen im Zweifel Strafanzeige stellen.
Das sind wir den Opfern schuldig. Und uns.