epd: Sie sind seit Frühjahr 2020 Landesbischof in Sachsen, haben die Landeskirche in einer schwierigen Situation übernommen, die nach dem Rücktritt von Bischof Carsten Rentzing entstanden war. Wie steht es um die innere Einheit der Landeskirche, ist unter Ihrer Leitung ein Befrieden gelungen?
Tobias Bilz: Das Maß der Einheit kann man nicht so einfach feststellen. Ich nehme aber eine positive Gesprächskultur war. Es gibt eine neue Diskursfähigkeit, Beziehungen werden gepflegt. Dabei wird auf Vorwürfe und wechselseitige Beurteilungen verzichtet. In diesen Punkten sind wir tatsächlich als Kirche gewachsen. Da hat sich etwas bewegt.
Der Streit in der Kirche hatte sich am Umgang mit Demokratiefeindlichkeit und Rechtsextremismus entzündet. Ein Teil der Kirchenmitglieder hat sich an den demokratiefeindlichen Texten des früheren Studenten Rentzing nicht gestoßen. Haben in Sachsen inzwischen Gemeindeforen stattgefunden, in denen diese Kontroversen diskutiert wurden?
Bilz: Die Würde und die Gleichrangigkeit aller Menschen sind die Grundlage, auf der sich alles entwickelt. Einen geschwisterlichen Besuchsdienst können wir von der Landesebene aus nicht organisieren, wohl aber anregen. Am Ende ist es wichtig, dass dort, wo die Konflikte aufbrechen, die Menschen darüber sprechen. Eine Bilanz ist nicht einfach zu ziehen. Aber solche Gesprächsformate werden von den Leuten vor Ort gemacht, wenn sie als sinnvoll angesehen werden. Auch in der Kinder- und Jugendbildungsarbeit wird die Thematik aufgegriffen.
"Das eigene Tun ist immer ein starkes Zeichen"
Auch beim Thema Impfen gehen die Meinungen auseinander. Sie haben sich für das Impfen ausgesprochen und sich am ersten Advent in der Leipziger Nikolaikirche öffentlich boostern lassen. Welche Reaktionen gab es?
Bilz: Ich habe viele Reaktionen darauf bekommen, überwiegend dankbare und Zustimmung, dass ich das so gemacht habe. Das eigene Tun ist immer ein starkes Zeichen. Es gibt auch Zuschriften, die fragen, ob zum Impfen unbedingt eine Kirche genutzt werden sollte - es gibt ja auch andere Orte. Aber zu diesem Zeitpunkt, zum ersten Advent, wo es noch nicht so viele Impfmöglichkeiten gab, war das eine ganz wichtige Unterstützung und Hilfe für die, die sich impfen lassen wollten. Die Kirchen haben an diesen Nachmittag in Sachsen insgesamt rund 1.600 Menschen erreicht. Das ist auch eine Gelegenheit, über die Praxis des Gottesdienstes nachzudenken. Gottesdienst ist nicht nur ein Ritus, es ist auch eine Lebensweise im Einsatz für das Gute. In diesem Sinne war die Impfaktion ein starker Einsatz.
Werden die Kirchen für eine weitere Corona-Impfaktion ähnlich wie am ersten Advent ihre Türen öffnen?
Bilz: Diese Aktionen sind mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand verbunden. Einzelne Gemeinden werde sich engagieren, da geht das weiter. Im Moment gibt es aber keine landeskirchlich organisierte Aktion.
Die Corona-Proteste haben sich radikalisiert. Es sind auch Kirchenmitglieder unter den Demonstranten. Was sagen Sie denen?
Im Moment ist für mich das Wichtigste, dass wir uns durch die Corona-Herausforderungen nicht gegeneinander aufbringen lassen. Ich verstehe, dass es für viele Menschen immer schwerer wird, die Corona-Schutzmaßnahmen so lange Zeit aushalten zu müssen. Das zehrt an den Nerven und beeinträchtigt unser Leben, das müssen wir aussprechen dürfen. Doch das Coronavirus interessiert sich nicht für unseren Ärger. Es nutzt die Möglichkeiten, die ihm geboten werden. Deshalb müssen wir uns gemeinsam auf das konzentrieren, was die Ansteckungsmöglichkeiten unterbindet und die schweren Krankheitsverläufe verhindert. Wir müssen weiter das Notwendige tun. Es hilft alles nichts. Daher ist es unangemessen, zum großen Widerstand aufzurufen oder sich sogar persönlich gegen Politikerinnen und Politiker zu stellen. Dafür habe ich kein Verständnis. Wir müssen geduldig und nervenstark sein und Schritt für Schritt durch diese Pandemie gehen.
"Das ist ein riesengroßer Unterschied"
Was haben Sie gedacht, als Sie von den Mordplänen einer Chatgruppe gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer hörten?
Bilz: Das Erste ist: Man hält es gar nicht für möglich, dass so etwas sein kann. Ich bin erschrocken.
Einige der Corona-Demonstranten sagen, sie würden für Frieden und Freiheit auf die Straße gehen. Was geht Ihnen, der Sie die friedliche Revolution erlebt haben, bei solchen Aussagen durch den Kopf?
Bilz: Unsere Situation ist nicht mit der von 1989 vergleichbar. Damals sind Menschen auf die Straße gegangen gegen ein Regime, das sie jahrzehntlang systematisch unterdrückt hatte, um an der Macht zu bleiben. Heute muss die Regierung aufgrund ihrer Verantwortung Maßnahmen ergreifen für die Menschen, um eine Bedrohung abzuwehren. Das ist ein riesengroßer Unterschied.
Was bedeutet das Schütz-Jahr 2022 für die sächsische Landeskirche?
Bilz: Wir gehen als Kirche zurück an die Quellen des geistlichen Lebens und der geistlichen Musik. Deshalb sind wir mit zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen dabei. Wir wollen an die Wurzeln der Kirchenmusik erinnern.
Welche Erwartungen verbinden Sie insgesamt mit dem neuen Jahr 2022?
Bilz: Ein neues Jahr ist zunächst wie ein unbeschriebenes Blatt. Die ersten Tage sind wie ein neugieriges Schauen nach vorn. Das ist ein schöner Moment, aber der hält nicht lange an. Wir wissen ja - Gott sei Dank - nicht, was kommen wird im nächsten Jahr.
Ich persönlich habe keine konkreten Erwartungen oder Vorsätze. Stattdessen habe ich viel Gottvertrauen, wir werden alte und neue Herausforderungen haben, einige nehmen wir ja mit, es werden neue hinzukommen, von denen wir noch nichts wissen. Gottvertrauen heißt für mich, wir werden zur rechten Zeit immer das empfangen, was wir brauchen. Die Mittel auch durch schwierige Zeiten zu gehen, werden uns dann gegeben, wenn wir sie auch benötigen - auf dem Weg. Das ist eine christliche Grundüberzeugung. Wir werden an den Herausforderungen wachsen. Herausfordernde Zeiten prägen Menschen und Charaktere und bringen auch das Gute in uns zum Vorschein. Insofern sollten wir mutig und hoffnungsvoll anpacken, was auf uns zukommen wird.
Sie sind vor kurzem in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt worden. Was wollen Sie erreichen, ist Ihnen das Einbringen einer ostdeutschen Sicht wichtig?
Bilz: Ich denke, dass es gut ist, dort zu sein. Ich bin ja wirklich ein zutiefst ostdeutsch geprägter Mensch. Bis zum 27. Lebensjahr habe ich in der DDR gelebt. Die Denk- und Verhaltensweisen der Ostdeutschen habe ich gewissermaßen im Blut. Es ist gut, wenn das im Rat der EKD von einem "Betroffenen" ausgesprochen und eingebracht wird. Das halte ich für sinnvoll. Die ostdeutsche Vergangenheit hat auch Christinnen und Christen geprägt und prägt sie noch - dies zur Sprache zu bringen, dafür bin ich dabei. Zugleich möchte ich zusammen mit den anderen Ratsmitgliedern die gemeinsame Zukunft der Evangelischen Kirche in Deutschland gestalten.