2020 wurden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mehr als 300 Kirchenasyle gemeldet- nur acht davon waren aus Sicht der Betroffenen erfolgreich. Auch 2021 dürfte sich daran wenig ändern: Von Januar bis Ende Mai wurden sieben Härtefälle anerkannt, wie das BAMF dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte.
epd: Herr Schmitt, was sagt die geringe "Erfolgsquote" bei Kirchenasylen aus?
Thomas Schmitt: Während die Verantwortlichen der Kirchenasyl gewährenden Kirchengemeinde nachvollziehbar das stellenweise traumatisch erlebte Fluchtgeschehen in den Vordergrund stellen, ist das für das BAMF vor Eintritt in das nationale Asylverfahren "nicht entscheidungserheblich". Das bundesdeutsche Aufenthalts- und Ausländerrecht ist sehr formal und restriktiv ausgestaltet. Und das ist politisch gewollt.
Wendet das Bundesamt generell zu strenge Kriterien an?
Schmitt: Das BAMF ist - wie die Ausländerbehörden auch - an Recht und Gesetz gebunden. Entgegen der landläufigen Meinung beanspruchen die Kirchen kein Sonderrecht. Das BAMF ist der verlängerte Arm des Bundesministerium des Innern. Es exekutiert den politischen Willen. Es verweist selbst regelmäßig in seinen Ablehnungen von Anträgen darauf, dass es restriktiv vorgehen muss. Das entspricht der politischen Linie, die vom Parlament in Gesetzesform gegossen wurde und die innerhalb der EU Konsens ist.
Also sind die Kirchen nicht zu großzügig bei der Gewährung von Kirchenasyl?
Schmitt: Ich kann nicht für "die Kirchen" sprechen. Aber ich bin in regelmäßigem, kollegialen Austausch mit betroffenen Pfarrerinnen und Pfarrern unserer Landeskirche, den Kolleginnen und Kollegen auf der Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und im ökumenischen Dialog. Mein Eindruck: Es kommen weit weniger Kirchenasyle zustande als tagtäglich von verzweifelten Hilfesuchenden nachgefragt werden.
Wir sollten die Kirche im Dorf lassen: Wir haben in unserer Landeskirche aktuell 13 Kirchenasyle bei 82 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, was der Bevölkerungsdichte der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Ich selbst rate häufiger ab als zu. Es geht um Härtefälle. Aktuell beispielsweise um Menschen, die als Zivilangestellte der Bundeswehr im Rahmen der NATO-Mission in Afghanistan für unsere Werte eingestanden sind. Wir empfangen unsere zurückkehrenden Soldatinnen und Soldaten nicht angemessen und belassen aktuell die Zivilangestellten in Gefahr. Verantwortung sieht anders aus.
Wie sollten die Kirchen und Einrichtungen mit dem Thema Kirchenasyl weiter umgehen? Ist die derzeitige Vorgehensweise gut oder gibt es Verbesserungsbedarf?
Schmitt: Auch wenn BAMF-Präsident Hans-Eckhard Sommer für seine Behörde in Anspruch nimmt, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Härtefälle auf dem Schirm haben und es so gesehen des Kirchenasyls eigentlich nicht bedarf, sehe ich im Rahmen des Qualitätsmanagements Optimierungsbedarf. Viele vom BAMF abgelehnte Anträge enthalten nur Textbausteine. Umgekehrt kann ich nachvollziehen, dass es dem Amt missfällt, wenn Kirchenasyle im Falle eines negativ beschiedenen Antrags nicht binnen dreier Tage beendet werden. Das lassen sich Kirchenvorstände halt nicht gerne vorschreiben. Um es bewusst provokant zu formulieren: Wir müssen bessere, das heißt aussagekräftigere Anträge schreiben, und das BAMF muss den individuellen Einzelfall noch viel eingehender beleuchten.
Gibt es konkrete Kriterien, anhand derer man sich für die Gewährung von Kirchenasyl entscheiden muss, oder hat jede Pfarrerin und jeder Pfarrer absolute Gewissensfreiheit?
Schmitt: Wir verwenden in Bayern eine von der bayerischen Landeskirche ausgereichte Checkliste. Die ersetzt nicht die Gewissensprüfung, aber dient immerhin der Reflexion vor Gewährung eines möglichen Kirchenasyls. Dieses bedarf zudem eines Beschlusses des Kirchenvorstands. Auch Kirchenvorstände, Pfarrerinnen und Pfarrer sind von dieser Welt, an das Gesetz gebunden und zugleich ihrem Gewissen unterworfen. Die aktuell gegen evangelische Geistliche und katholische Ordensangehörige laufenden und bei Gericht anhängigen Strafverfahren sind ein Beleg dafür, dass sich keiner der Beteiligten "einen leichten Fuß macht". Der angestammte Platz für Christen ist zwischen den Stühlen. Mehr Komfortzone geht nicht. In letzter Konsequenz muss ein Christ - wie jeder und jede andere auch - vor dem Gericht für seine Sache und die betroffenen Menschen einstehen.