"Tapfer, tiefenentspannt und doch zugleich tief trostlos" hätten sich die Kirchen in ihren Statements dargestellt,sagte Günter Thomas, der an der Bochumer Ruhr-Universität den Lehrstuhl für Ethik und Fundamentaltheologie innehat. Wenn sie in "stoischer Ruhe" verkündeten, dass Gott die Menschen begleite, egal was passiere, sei das ein "Heldenchristentum mit einer metaphysischen Trostlosigkeit".
Nach Worten von Thomas sollte die Kirche die Klage, wie etwa in den Psalmen vermittelt, stärker entdecken. "Wir brauchen in diesen Zeiten Klagemauern", erklärte der evangelische Theologe. "Wir brauchen diese Ritzen, in die Menschen so heimlich wie öffentlich ihren Verzweiflungsglauben stecken können", sagte er.
In Kitsch verrannt
Dazu gehöre auch die Erkenntnis, dass die Natur nicht allein schön und bewahrenswert sei, sondern wie das Corona-Virus ein Feind des Menschen sein könne, sagte der Theologe. Wer nur die Integrität der Schöpfung bewahren wolle, leugne "die Härten der Evolution". Kirche habe sich hier oftmals im Kitsch verrannt.
Der Theologe warnte die Kirchen auch davor, in einer immer stärker professionalisierten Kirche die "Alltagschristen" aus dem Blick zu verlieren. Der Nachkriegsprotestantismus betreibe "eine Vertreibung der Alltagschristen", sagte er. Die Kirche sei zu sehr einem System mit den in der Kirche hauptberuflich Beschäftigten sowie professionellen Organisationen wie der Diakonie verhaftet.
Zudem spreche Kirche mit politischen Themen wie Migration oder Klimakrise nur für einen Teil der Gemeindemitglieder - der andere Teil wende sich dann von der Kirche ab, kritisierte Thomas. Die Kirche müsse sich daher Gedanken machen, wie sie die Menschen erreiche, "die über bestimmte Sachen schlaflose Nächte verbringen", sagte Thomas. Wenn die Kirche wieder realistischer werde, gewinne sie auch wieder die Alltagschristen.