Die Kirche wirke zaghaft, obwohl es zurzeit um wesentliche Weichenstellungen gehe, sagte Picker. Es sei an der Zeit, darüber zu diskutieren, welche Prioritäten gesetzt werden, an welcher Stelle Gesundheit, Wirtschaftskraft, Freiheitsrechte, Teilhabe, Geselligkeit, Kultur oder Frömmigkeit rangierten.
"Religion kann zu den Verliererinnen der Krise gehören", sagte Picker. Die Ostergottesdienste und Konfirmationen seien abgesagt worden. Zeitweise seien Seelsorge, Sterbebegleitung und Beerdigungen massiv eingeschränkt gewesen. Gottesdienste mit Abstand und ohne Singen erschwerten geistliches Erleben. Dabei sei spirituelle Stärkung in Krisen besonders wichtig. Wenn religiöses Leben ausgerechnet da ausfalle, werde Religion vielen vollends entbehrlich erscheinen.
"Die, die kommen, fühlen sich schlecht, weil sie immer weniger werden"
Zu ängstlich geht die Kirche nach Pickers Ansicht auch mit Veränderung ihrer gesellschaftlichen Rolle um. Immer weniger Menschen beteiligten sich am kirchlichen Leben. "Und die, die kommen, fühlen sich schlecht, weil sie immer weniger werden." Deshalb müsse die Kirche ihre Gottesdienstpraxis überdenken, ohne den verlässlichen Sonntagsgottesdienst aufzugeben. "Das ist der Herrentag und der ist für Christen unverzichtbar."
Aber Sonntagsgottesdienst müsse nicht flächendeckend sein, sagte Picker. Die klassische Form mit ausgebauter Liturgie, ausgearbeiteter Predigt und Orgelspiel sei kaum geeignet für zusammengeschrumpfte Gottesdienstgemeinden. "Da springt spirituell kein Funke über." Stattdessen brauche die Kirche kleinere Formen, in denen es ums Beten, Bibellesen, Hören, Schweigen und um ein paar kluge und tröstliche theologische Sätze gehe. Auch digital gehe manches, so Picker. "Aber nicht zusätzlich obendrauf gepackt. Sonst hetzt die Kirche in den Burnout."