Bischof Bilz, wie geht es Ihnen in diesen Zeiten? Wie sieht Ihr Alltag aus?
Tobias Bilz: Mit geht es gut, meine Familie ist gesund. An Alltag ist aber nicht zu denken. Das würde bedeuten, die üblichen Termine wahrzunehmen. Alles, was ein Bischof sonst tut, entfällt in diesen Tagen - vor allem die vielen Besuche in den ersten Amtswochen. Ich verbringe viel Zeit mit Telefonieren. Weit nach vorn geschoben haben sich Videokonferenzen. Es gibt viele Anfragen, die sich auf die aktuelle Situation beziehen. Es gilt jetzt, das Leben zu ordnen und den Menschen Orientierung zu geben, was getan werden kann und auch was nicht.
Kirchliche Veranstaltungen sind dieser Tage wegen des Coronavirus verboten. Wie funktioniert es mit den digitalen Alternativen?
Bilz: Virtuelle Alternativen werden in der Landeskirche mit großem Schwung genutzt. Es gibt inzwischen sehr viele Pfarrerinnen und Pfarrer, die Livestream-Gottesdienste halten und übertragen. Die Angebote sind flächendeckend verbreitet. Es gibt Andachten, Gottesdienste und Gebete aus vielen Gemeinden im Netz. Die Leute bedauern, dass sie sich in der Kirche nicht versammeln können. Insofern werden digitale Angebote gern angenommen.
Viele ältere Menschen haben kein Smartphone und surfen auch nicht im Internet. Wie erreichen Sie diese Menschen?
Bilz: Es gibt in manchen Gemeinden Telefonnummern, die man anrufen kann. Andere Pfarrerinnen und Pfarrer schreiben täglich Andachten, kopieren sie und lassen sie in die Briefkästen bringen. Es wird auch sehr viel telefoniert. Nicht zu vergessen sind die Kirchenmusiker, die von Kirchtürmen aus musizieren, vom Balkon oder eben im Netz. Auch an Kinder werden Briefe geschrieben. Ich würde sagen: Es gibt viel Aktivität.
"Es ist eine Mischung aus Schmerz und Einsicht"
Was macht die Einschränkung der Religionsfreiheit mit den Gemeinden?
Bilz: Es ist eine Mischung aus Schmerz und Einsicht. Die Krise ist ein tiefer Einschnitt in unsere Gewohnheiten. Einen Gottesdienst zu besuchen, das gehört zum Glaubensleben vieler einfach dazu. Doch da ist derzeit nichts zu machen. Der Einschnitt betrifft aber nicht nur jeden einzeln, sondern jeder ist auch für Andere mit verantwortlich. In dieser Abwägung ist die Einsicht mit den aktuellen Maßnahmen weit verbreitet. Zugleich herrscht eine erhöhte Aufmerksamkeit dafür, dass dies zeitlich streng begrenzt bleibt.
Sie selbst beten in der Woche jeden Abend 18 Uhr über die sozialen Medien mit denen, die sich zugeschaltet haben. Wie geht es Ihnen damit?
Bilz: Ich selber musste mich erst einmal daran gewöhnen, wie das vor einer Kamera ist. Man kann nicht mit den Menschen interagieren, die man erreichen möchte. Inzwischen werde ich entspannter. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv. Manche tragen sich die Termine in den Kalender ein. Die Leute sind sehr dankbar.
Wie lange hält die sächsische Landeskirche so eine Abstinenz der Gemeinden aus? Haben Sie Sorgen, dass die Corona-Krise der Kirche längerfristig schaden könnte?
Bilz: Nein, da habe ich keine Sorge. Die aktuellen Verordnungen gelten bis zum 20. April. Ich habe den Eindruck, dass danach neue Richtlinien kommen, wie wir mit der Corona-Krise weiter umgehen und Infektionen verhindern können. Ich wünsche mir sehr und bin auch guter Hoffnung, dass dann unter bestimmten Bedingungen allmählich die Zusammenkünfte wieder möglich werden.
Sind Kirchen in Sachsen denn generell geschlossen?
Bilz: Die Kirchen bleiben offen für den Besuch Einzelner. Es ist wichtig, dass die Menschen zur geistlichen Ermutigung in einer Kirche für einen Moment sitzen können und aus diesem Grund auch das Haus verlassen dürfen. Allerdings ist ganz klar, dass auch dort die Infektionsschutzregeln - etwa die des notwendigen Abstands - einzuhalten sind.
"Viele werden nachdenken, was ihrem Leben Sinn und Halt gibt"
Viele sagen, dass sich die Welt nach der Corona-Pandemie verändern wird. Sehen Sie das auch so?
Bilz: Ich denke, dass die Krise mittel- und langfristig Auswirkungen haben wird. Die Menschen werden darüber nachdenken und neu entscheiden, was in ihrem Leben wichtig ist. Wenn man mit einem Schlag auf alles verzichten muss, wird man feststellen, manches brauche ich gar nicht. Und bei anderen Dingen, was zum Beispiel wichtige Beziehungen betrifft, wird man sagen, wie konnte ich das so vernachlässigen in den vergangenen Monaten oder Jahren. Da muss man schauen, wie familiäre Beziehungen und Freundschaften einen neuen Stellenwert bekommen. Ich rechne mit einem neuen Nachdenken darüber, wie wir mit dieser Welt umgehen, mit der globalisierten Wirtschaft und der Umwelt. Wir alle tragen Verantwortung. Viele werden nachdenken, was ihrem Leben Sinn und Halt gibt.
Sehen Sie tatsächlich auch eine Chance in der Krise?
Bilz: Das Wort Chance in der aktuellen Lage zu benutzen - da habe ich gelernt, vorsichtig zu sein. Wenn jemand jetzt von Krankheit betroffen ist und das Virus spürt oder wenn jetzt ein Handwerksbetrieb um seine Existenz fürchtet, da ist es schwer, von Chance zu sprechen. Mittelfristig aber, wenn wir aus der aktuellen Not herausgerückt sind und zum Nachdenken kommen, sehe ich durchaus Chancen. Jetzt aber brauchen wir Leute, die den Mut nicht verlieren, Menschen, die Kraft geben und dies auch ausstrahlen.
"Die Ostergeschichte ist an Dramaturgie kaum zu überbieten"
Mit welchen positiven Veränderungen rechnen Sie nach der Krise in Deutschland?
Bilz: Es werden Dinge in Bewegung kommen, die lange verfestigt waren. Das soziale Miteinander zum Beispiel. Vielleicht auch die Fragen nach Zusammenhalt, Klimaschutz und Verantwortung.
Was bedeutet die Corona-Krise für das bevorstehende Osterfest?
Bilz: Wenn wir in der Bibel die Ostergeschichten lesen, dann zeigt sich doch, dass die Ereignisse der Osterwoche völlig anders gelaufen sind als von den Beteiligten gedacht. Jesus zog unter großem Jubel scheinbar als der neue König der Juden in Jerusalem ein. Aber kurz danach kam der Verrat und sogar seine Hinrichtung. Die ganze Geschichte vollzieht einen Bruch, den wir uns gar nicht groß genug vorstellen können. Aus einer euphorischen Begrüßung wurde der Tod Jesu, aus dem heraus aber etwas Neues entstand. Die Ostergeschichte ist an Dramaturgie kaum zu überbieten. Bisher haben sich viele Menschen das Leben insgesamt als stetige Verbesserung der Umstände vorgestellt oder zumindest gewünscht. Brüche und Krisen hatte jeder Einzelne in seinem Leben auch vor Corona, aber jetzt betrifft das eine ganze Gesellschaft. Da ergibt sich eine erstaunliche Parallele zum Ostergeschehen.
Wie meinen Sie das?
Bilz: Das Schöne ist, dass mit dem Osterfest aus der Krise heraus etwas Neues beginnt, eine neue Qualität von Leben. Das wird uns dieses Jahr besonders deutlich. Auch aus unserer Krise kann neues Leben und kann eine neue Lebensqualität entstehen; nicht von einem Tag auf den anderen. Auch nach der Auferstehung Jesu hat man erst einmal gestaunt und gefragt, ob das überhaupt sein kann. Insofern können wir auch Ausschau halten nach dem neuen Leben, das aus der jetzigen Krise kommen kann. Da ist es ganz gut, zu Ostern ein wenig verhalten zu sein und sich selbst etwas zurückzunehmen.
Am 25. April sollte Ihr Dienstantritt als Landesbischof mit einem großen Gottesdienst in der Dresdner Kreuzkirche gefeiert werden. Was wird daraus?
Bilz: Ein großes Fest wird es nicht geben. Die Einführung wird am 25. April in ganz kleinem Rahmen stattfinden. Damit sie noch zum Dienstantritt passt, verschieben wir sie nicht. Mir ist wichtig, dass dieser besondere Gottesdienst, vor allem die Ermutigung durch den Segen für meinen Dienst passiert. Aber von außerhalb wird wohl sehr wahrscheinlich keiner anreisen können. Der MDR überträgt den Gottesdienst aber im Fernsehen.