Mit Blick auf die Corona-Krise und die Zustände im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos erklärte Stäblein am Montag in Berlin, "wenn das Camp nicht schnell evakuiert wird, passiert hier eine humanitäre Katastrophe". Die Geflüchteten hätten dort keine Möglichkeit, Abstand voneinander zu halten. Die hygienischen Bedingungen seien vollkommen unzureichend, es gebe kaum medizinische Versorgung, so Stäblein.
Das Flüchtlingscamp Moria sei für lediglich 3.000 Menschen ausgerichtet, aktuell lebten dort aber mehr als 20.000 Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen, betonte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Stäblein begrüßte zugleich, dass die Bundesregierung sich gemeinsam mit anderen EU-Staaten bereiterklärt habe, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und kranke Kinder mit ihren Familien aus den überfüllten Camps in Griechenland zu evakuieren.
"Ich hoffe sehr, dass Kinder und Jugendliche bis Ostern ausgeflogen und in Sicherheit gebracht werden", sagte der Bischof: "Es wäre ein Zeichen, dass wir auch in Krisenzeiten die Schwächsten schützen. Ostern ist ein Fest, an dem sichtbar und greifbar wird: Gott will das Leben!"
Auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration forderte Deutschland und andere EU-Staaten angesichts der Corona-Pandemie zur Hilfe für Flüchtlinge auf den griechischen Inseln auf. Die Zustände dort seien "in hygienischer und medizinischer Sicht desaströs", wegen der Pandemie drohe eine humanitäre Katastrophe, heißt es in einem am Dienstag vom Sachverständigenrat veröffentlichten Positionspapier. Die Vorsitzende Petra Bendel erklärte, die Lager müssten dringend evakuiert werden.
Es brauche einen "europäischen Kraftakt" - auch für die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), fordert der Sachverständigenrat. Die aktuellen Krisen - auch an der türkisch-griechischen Grenze - zeigten, wie nötig Änderungen seien. Es drohten ansonsten weitere Zuspitzungen, auf die die EU strukturell bislang nicht genügend vorbereitet sei.
Absprache noch nicht umgesetzt
Auf EU-Ebene haben sich bislang acht Länder gefunden, darunter Deutschland, die bereit sind, mindestens 1.600 Minderjährige und andere besonders Schutzbedürftige von den griechischen Inseln aufzunehmen. Die vor mehr als zwei Wochen von den Innenministern getroffene Absprache ist bislang nicht umgesetzt. Die Bundesregierung betonte am Montag erneut, sie wolle dies "zeitnah" umsetzen, verwies aber auf die Zuständigkeit der EU-Kommission.
Für dieses Frühjahr angekündigt war auch ein Vorschlag der EU-Kommission zur Zukunft des EU-Asylsystems, um das seit der Fluchtbewegung 2015 gerungen wird. Erreicht werden soll eine solidarischere Verteilung von Schutzsuchenden, um die Überbelastung von EU-Grenzstaaten wie Griechenland und Italien zu beenden. Auch dieser Zeitplan gerät derzeit durcheinander. Die Corona-Pandemie habe derzeit Priorität, hieß es von der Kommission.
Die Sachverständigen der Stiftungen drängen nun die Bundesregierung, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte zu nutzen, um das Thema voranzutreiben. In ihrem Positionspapier machen sie konkrete Vorschläge. So fordern sie etwa, eine bessere Verteilung von Flüchtlingen durch positive Anreize statt durch Sanktionen zu erreichen.
Plädoyer für pragmatische "Koaltionen der Willigen"
Den umstrittenen deutschen Vorschlag für Asyl-Vorprüfungen in Zentren an den EU-Außengrenzen lehnen die Sachverständigen nicht ab: Sie könnten zu schnelleren und besseren Verfahren beitragen. Allerdings müssten Fragen zum Rechtsschutz geklärt sein.
Zudem fordern sie einen Ausbau der Resettlement-Programme, bei denen besonders schutzbedürftige Flüchtlinge direkt aus Heimat- oder Transitländern aufgenommen werden, ohne dass sie sich auf gefährliche Fluchtrouten begeben müssen. 30.000 Plätze hat die EU für 2020 zugesagt, Deutschland davon 5.500. Das Bundesinnenministerium hat die Aufnahme wegen der Corona-Pandemie aber derzeit ausgesetzt.
Bei der Seenotrettung, die vor allem von privaten Organisationen geleistet wird, fordern die Sachverständigen mehr staatliches Engagement. Die EU sollte "proaktiv" dafür sorgen, dass die Pflicht zur Seenotrettung wahrgenommen wird, heißt es in dem knapp 20-seitigen Papier. Mit Blick auf die Auseinandersetzungen zwischen EU-Staaten beim Thema Asyl plädieren die Experten zumindest kurzfristig für pragmatische "Koalitionen der Willigen".