Nach der Landtagswahl in Thüringen dringen die Kirchen auf Kompromissbereitschaft und Verständigung. Der katholische Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr rief die verantwortlichen Politiker am Montag in Erfurt dazu auf, bei den Gesprächen der nächsten Wochen die Interessen Thüringens in den Mittelpunkt zu stellen. "Jetzt ist nicht die Stunde für persönliche oder parteiliche Machtspiele", sagte er. Mitteldeutschlands evangelischer Bischof Friedrich Kramer hatte bereits am Sonntagabend zu Kompromissbereitschaft aufgerufen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland reagierte mit Besorgnis auf den hohen Stimmenanteil der AfD.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis hat die bisherige rot-rot-grüne Landesregierung keine Mehrheit mehr in Thüringen. Demnach kam die Linke mit Ministerpräsident Bodo Ramelow auf 31,0 Prozent der Stimmen, gefolgt von der AfD mit 23,4 Prozent, der CDU mit 21,8 Prozent sowie der SPD mit 8,2 Prozent. Grüne und FDP schafften es mit 5,2 und 5,0 Prozent knapp in den Thüringer Landtag.
Kramer besorgt über hohen Stimmenanteil der AfD
Der Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Kramer, sagte, die Regierungsbildung werde sicherlich nicht einfach. Er fügte hinzu: "Wir werden den Kompromiss noch mehr als wichtige Form der politischen Arbeit schätzen dürfen anstatt ihn als Niederlage zu verstehen."
Kramer zeigte sich besorgt über den hohen Stimmenanteil für die AfD im Land. Er warnte davor, dieses Ergebnis "als reine Protesthaltung oder politische Unreife abzutun". Vielmehr handele es sich um "manifeste politische Grundüberzeugungen".
Der katholische Erfurter Bischof Neymeyr nannte das Wahlergebnis vom Sonntag eine "große Herausforderung". Dieses zeige eine deutliche Polarisierung in der thüringischen Gesellschaft. Neymeyr unterstrich: "Den politischen Gegner zu achten, selbst wenn man anderer Meinung ist, sollte selbstverständlich sein. Das hilft auch, der offensichtlichen Spaltung der Gesellschaft entgegenzuarbeiten."
Extremismusforscher sieht gesellschaftliche Polarisierung
Der Zentralrat der Juden in Deutschland zeigte sich besorgt über das Wahlergebnis der AfD. Zentralratspräsident Josef Schuster sagte, gerade in Thüringen gebe es keinen Zweifel an der rechtsnationalen Ausrichtung der Partei. "Jeder, der am Sonntag die AfD gewählt hat, trägt eine Mitverantwortung dafür, dass das Fundament unserer Demokratie sukzessive untergraben wird", sagte Schuster. Viele AfD-Wähler hätten sich "mit billiger rassistischer Stimmungsmache und Abwertung der regierenden Parteien" einfangen lassen. Es sei aber von jedem mündigen Bürger zu erwarten, dass er sich genau anschaut, welche Partei er wählt.
Auch nach Einschätzung des Extremismusforschers Andreas Zick ist der Stimmenzuwachs der AfD unter Spitzenkandidat Björn Höcke Ausdruck einer gesellschaftlichen Polarisierung. Die Agitation der Partei gegen Eliten und gegen die Migrationsgesellschaft sowie die Suggestion, dass die Wahl ein Widerstandsakt sei, hätten gewirkt, sagte der Bielefelder Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland zeigte sich besorgt. In einer Erklärung hieß es: "Die Wahlen in Thüringen machen deutlich, dass Rassismus in den neuen Bundesländern mehrheitsfähig geworden ist."