Krimi-Pfarrer schreibt Buch über Obdachlosigkeit

Felix Leibrock
© epd-bild/Privat
Der Pfarrer und Autor Felix Leibrock schreibt über den schnellen und tiefen Fall eines Geschäftsmannes in die Obdachlosigkeit. Er war selbst zweieinhalb Jahre ohne festen Wohnsitz.
Krimi-Pfarrer schreibt Buch über Obdachlosigkeit
Felix Leibrock ist Leiter des Evangelischen Bildungswerks München und war selbst zweieinhalb Jahre wohnungslos
Die Erzählung "Nur im Dunkeln leuchten dir Sterne" schildert den schnellen und tiefen Fall eines Geschäftsmannes in die Obdachlosigkeit. Autor Felix Leibrock weiß, worüber er schreibt: Der Pfarrer war selbst zweieinhalb Jahre ohne festen Wohnsitz.
14.07.2019
epd
Susanne Schröder

Evangelischer Pfarrer in leitender Position, Anfang 50, wohnungslos. Was nach Kinofilm klingt, war für Felix Leibrock zweieinhalb Jahre Wirklichkeit. 2012 trat der Theologe seine Stelle als Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks München an und bezog fürs Erste ein möbliertes Zimmer. Es folgten weitere acht Absteigen, denn eine Wohnung war für den früheren Stadtkulturdirektor von Weimar bis 2015 partout nicht zu finden.

"Ich habe in dieser Zeit viele menschliche Erfahrungen gemacht", sagt der heute 59-Jährige im epd-Gespräch. 270 Euro für ein heruntergekommenes Acht-Quadratmeter-Abteil im Keller ohne Heizung, und das im Winter. Verträge, die die Zimmernutzung nur zwischen 22 und 7 Uhr gestatteten. Eine Vermieterin, die nachts zum Blumengießen ins Zimmer kam. Und eine, die von ihm verlangte, nur auf den Knien zu duschen.

Zahlreiche Tiefpunkte

"Ich hatte immer geglaubt, dass ich für 400 bis 500 Euro in München ein Zimmer mit eigenem Schlüssel bekomme", sagt Leibrock und schüttelt ungläubig den Kopf. Stattdessen lernte er, dass viele der älteren Zimmerwirtinnen zwar "eine Untermiete, aber keinen Untermieter" brauchten, um ihre Wohnung trotz steigender Preise zu halten. Am Ende der Zimmer-Odyssee und nach zwei Nächten am Hauptbahnhof bezog er schließlich für sechs Monate eine Notliege in seinem eigenen Büro. Es sei anstrengend gewesen, das vor seinem Team geheim zu halten.

Zwei Tiefpunkte aus dieser Zeit sind dem Pfarrer ins Gedächtnis gebrannt: als er sich in die lange Schlange der öffentlichen Duschen im Hauptbahnhof stellen musste, weil die Dusche im Fitnessstudio kaputt war. Und als ihm jemand Geld anbot, "weil ich offenbar so erschöpft aussah, dass ich die Ausstrahlung eines Obdachlosen hatte". Das habe ihn aufgerüttelt: Am Silvesterabend 2014 legte Leibrock "den Hebel um" und wurde in Gremien und Vereinen aktiv. Als er seine mit der Zeit gewachsene "bockige Haltung" der Stadt gegenüber öffnete, fand er 2015 endlich eine kleine Wohnung.

Leibrock will seine Zeit ohne eigene Wohnung nicht mit der Situation von Obdachlosen vergleichen - "das hat eine ganz andere Dimension". Dennoch habe er in diesen Jahren gemerkt, wie wichtig es sei, einen Ort zu haben, an den man jederzeit gehen und für sich sein könne. "Ein Dach über dem Kopf ist ein Segen, den man erst zu schätzen weiß, wenn man das nicht hatte", so sein Fazit.

Deshalb engagiert sich Felix Leibrock seit 2015 beim Verein der "Schwestern und Brüder vom heiligen Benedikt Labre". Als "Teefahrer" besucht er mit dem Bus des Obdachlosenvereins Menschen des "unterirdischen Münchens". "Wir fahren an dunkle Orte, wo sich Menschen aus Scham im Gebüsch versteckt halten", sagt der Pfarrer. Ihnen die Hand zu reichen, zuzuhören, Tee und Brote zu geben und vielleicht erste Schritte zurück in die bürgerliche Gesellschaft zu begleiten, nennt Leibrock "eine sehr erfüllende, glückbringende Aufgabe". Viele dieser armen Menschen hätten einen inneren Reichtum an Erfahrungen und Lebensgeschichten.

Aus diesem Ehrenamt ist die Idee zum neuesten Roman des Schriftstellers entsprungen. Obdachlose haben in der Erzählung "Nur im Dunkeln leuchten dir Sterne" die Funktion von Märchenerzählern, die dem Protagonisten Wege aus seiner Lebenskrise zeigen. Drei Fragen seien Leitfäden des Buchs, sagt Leibrock: Wie komme ich aus der Grübelfalle? Woran erkenne ich Menschen, die es ehrlich mit mir meinen? Und: Gibt es einen Weg zum Glück?

"Ich glaube, dass Märchen eine heilende Wirkung haben", sagt der Autor. Das Thema Obdachlosigkeit sei im Buch nur der Aufhänger, um Menschen Wege zu zeigen, wie man Lebenskrisen bewältigen könne. Doch wer möchte, kann die Brücke beschreiten, die Leibrock mit dem Buch schlägt: Die erste öffentliche Lesung in München findet nicht in einer schicken Location statt, sondern im Speisesaal des Obdachlosenwohnheims an der Pilgersheimerstraße.