Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister wünscht sich mehr Mut der Kirche zu Veränderungen, um junge Menschen für den Glauben zu interessieren. "Viel zu häufig wollen wir junge Menschen gewinnen, indem etablierte Kirchenfunktionäre Steuerungsgruppen bilden und Rezepte formulieren", kritisierte Meister, der als Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) die lutherischen Christen in den Landeskirchen repräsentiert. Die evangelische Kirche stehe "ganz am Anfang, wie sich Beteiligung, auch finanzielle Beteiligung" der Menschen entwickele, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Herr Bischof Meister, zu ihren zahlreichen kirchlichen Ämtern ist im vergangenen November das Amt des Leitenden Bischofs der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) hinzugekommen. Wozu braucht es den eigenen Zusammenschluss von sieben lutherischen Landeskirchen innerhalb der 20 Gliedkirchen umfassenden Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)?
Ralf Meister: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man die Kleinteiligkeit der kirchlichen Landschaft überwinden und gründete deshalb eine Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche, von der man sich mehr Gemeinsamkeit nach innen und stärkeres Auftreten nach außen erhoffte. Hinzu kommt bis heute: Christlicher Glaube ist in kulturelle Gewohnheiten und Sitten eingebettet, und die konfessionellen Prägungen helfen, dem christlichen Glauben eine äußere und innere Form zu geben. Ich halte es für sinnvoll, dass es innerhalb der EKD Einrichtungen gibt, die sich auch in Zukunft um die Vitalität und Gestaltungskraft dieser Konfessionskulturen kümmern.
Aber die Unterscheidung zwischen lutherischen, unierten und reformieren Kirchen hat doch auch etwas Trennendes.
Meister: Wir sind auf dem besten Weg, genau das zu überwinden. VELKD und Union Evangelischer Kirchen (UEK) bewegen sich seit Jahren aufeinander zu, sie werden zu Gestaltungsräumen. Die Unterschiede zwischen den Konfessionen trennen nicht, sondern repräsentieren die Vielfalt des Protestantismus. Für diesen Weg stehe ich auch als Leitender Bischof der VELKD.
Auf der Verwaltungsebene ist die VELKD inzwischen in das EKD-Kirchenamt integriert. Wird die VELKD eines Tages in der EKD aufgehen?
Meister: Sie geht nicht in der EKD auf, aber sie ist ein Teil der EKD. Die VELKD ist nicht nur ein Zusammenschluss von Landeskirchen, sondern sie ist selbst Kirche. Allein schon aus diesem Grund ist ein Aufgehen der VELKD in der EKD zurzeit schwer vorstellbar. Die Vielfalt der Konfessionen gehört zur evangelischen Kirche und wird durch die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse innerhalb der EKD dargestellt. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung, kein Hindernis.
Was unterscheidet denn Lutheraner, Unierte und Reformierte heute noch?
Meister: Zunächst einmal ist es schön zu erleben, wie sehr die Stimmen im evangelischen Orchester übereinstimmen: Wir haben Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, wir äußern uns gemeinsam in der Öffentlichkeit, wir arbeiten in gemeinsamen Strukturen. Die konfessionellen Unterschiede können wir inzwischen weitaus gelassener sortieren als noch 2007, als wir innerhalb der EKD in das sogenannte Verbindungsmodell gestartet sind. Oft sind es nur Nuancen, in der Gestaltung von Gottesdiensten zum Beispiel. Für die lutherischen Kirchen ist auch die Mitgliedschaft im Lutherischen Weltbund und die Einbindung in die internationale Ökumene von großer Bedeutung.
Die VELKD hat sich bei ihrer Generalsynode im vergangenen November intensiv mit der Frage befasst, wie Menschen zwischen 18 und 30 Jahren wieder stärker für die Kirche gewonnen werden können. Was steht auf der Agenda?
Meister: Es ist das entscheidende Zukunftsthema für die evangelische Kirche. Dabei geht es nicht zuerst darum, Jugendliche und junge Erwachsene als Kirchenmitglieder im herkömmlichen Sinn zu gewinnen oder in der Kirche zu halten. Daran haben junge Menschen in der Regel eher weniger Interesse. Es geht darum, sie überhaupt für Gott zu interessieren. Gott leitet seine Kirche und führt sie in die Zukunft, nicht kirchenstrategische Initiativen. Wenn es uns gelingt, dass wir da bei jungen Menschen wieder Interesse wecken, dann könnte es sein - und darauf hoffe ich -, dass sich unsere Kirche viel stärker verändert, als wir uns das im Moment überhaupt vorstellen können.
Was meinen Sie konkret?
Meister: Kirche ist zu oft darauf aus, sich in ihrem So-Sein zu erhalten. Wir müssen die Perspektive viel stärker drehen und der nachwachsenden Generation sagen: Ihr müsst jetzt die Verantwortung tragen, es ist jetzt eure Kirche. Jugendsynoden und Quoten zur Beteiligung junger Menschen in Kirchengremien können dabei helfen, aber das reicht bei weitem nicht.
Was läuft derzeit schief?
Meister: Viel zu häufig wollen wir junge Menschen gewinnen, indem etablierte Kirchenfunktionäre Steuerungsgruppen bilden und Rezepte formulieren. Ob das klappt? Wir müssen viel mutiger werden und Initiativen und Verantwortung an Jugendliche und junge Erwachsene wirklich abgeben.
Sie sagen, Kirchenmitgliedschaft ist am Ende nicht entscheidend.
Meister: So ist es, das ist bei jungen Erwachsenen kaum ein Thema. Wer sich in digitalen Kanälen über christlichen Glauben austauscht und dort seine Beziehungen pflegt, der fragt nicht mehr: Bist Du Mitglied in der Kirche? Wir stehen ganz am Anfang, wie sich Beteiligung, auch finanzielle Beteiligung entwickelt. Da greift es zu kurz, die Kirchenmitgliedschaft zu öffnen in der Hoffnung, dass der eine oder andere junge Mensch zu uns kommt, weil es nichts kostet.
Wie stehen Sie zum Vorschlag des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke), anstelle der Kirchensteuer eine Kultursteuer zu erheben, von der nicht allein die Kirchen profitieren würden.
Meister: Das ist ein interessanter Vorschlag eines evangelischen Christen, der gerne provoziert. Auch wenn manchen die Kirchensteuer als Beleg der Nähe der Kirchen zum Staat erscheint, ist es genau anders: Die Kirchen entscheiden über die Höhe des Steuersatzes selbst, und sie bezahlen den Staat für den Einzug. Bei einer Kultursteuer würde der Staat der Kirche die Höhe ihres Beitrags vorschreiben. Ein solcher Eingriff des Staates in die Kirchen erscheint in Deutschland kaum hinnehmbar. Wir werden genau verfolgen, wie sich die Debatten in der Zukunft entwickeln.