Sie haben jüngst dazu aufgerufen, Alternativen zur Kirchensteuer zu diskutieren. Warum?
Bodo Ramelow: Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen wird ja seit vielen Jahren immer wieder diskutiert, ebenso wie der Einzug der Kirchensteuer über die Finanzämter. Jetzt erleben wir gerade wieder ein Aufflammen dieser Diskussion, angereichert allerdings um den Vorschlag einer Moscheesteuer. Die Einführung einer Moscheesteuer ist leicht gefordert, innerhalb der bisherigen Systematik aber gar nicht zu machen. Eine Moscheesteuer analog zur Kirchensteuer würde lediglich dazu führen, dass die islamischen Gemeinden sich dem verweigern würden. Das haben sie ja auch schon deutlich signalisiert. Ein Grund ist, dass sie in diesem Fall ein Namensverzeichnis anlegen müssten, denn die Kirchensteuer wird ja tatsächlich namenskonkret vom Finanzamt für die beiden Amtskirchen eingezogen.
Was schlagen Sie also statt einer Moscheesteuer vor?
Ramelow: Ich habe mir die Lösung des Problems im europäischen Vergleich angeschaut und finde das italienische Modell überaus spannend. Die italienische Kultursteuer wird von jedem Steuerzahler gezahlt. Sie ist zwar deutlich niedriger als der Kirchensteueranteil bekennender Christen hierzulande - sie macht nur etwa ein Zehntel aus. Aber: Jeder zahlt, und die Steuer ist für alle gleich hoch. Wie hoch diese Kultursteuer letztlich sein sollte, müsste gründlich erörtert werden.
Was schwebt Ihnen denn vor?
Ramelow: Sie müsste jedenfalls niedriger ausfallen für die, die bisher überhaupt gezahlt haben, aber nicht so niedrig wie in Italien. Der Betrag könnte dazwischen liegen und durch Gemeindebeiträge abgerundet werden. Wichtig ist: Jeder Einzelne hat die Wahlfreiheit zu entscheiden, wohin dieses Geld fließen soll. Das kann die Moscheegemeinde sein, die das Geld in diesem System auch als Verein bekommen kann, also keine Körperschaft öffentlichen Rechts sein muss. Empfänger können aber auch der Humanistische Verband sein oder eben die Kirchen. Häufig wird die Kirchensteuerproblematik ja diskutiert im Zusammenhang mit der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Ich wollte mit meinem Vorschlag die Diskussion entkrampfen und versachlichen.
"Gemeinnützigkeit darf kein Tummelplatz sein für tagespolitische Auseinandersetzungen"
Wo lägen aus Ihrer Sicht die Vorteile einer solchen Kultursteuer?
Ramelow: Entgegen nehmen würde diese Steuer zunächst einmal der Staat - für alle dann nachfolgenden Empfänger. Man würde die Kirchen somit aus der Kritik nehmen, sie stellten einen Sonderfall dar, weil der Staat für sie die Kirchensteuer über die Finanzämter einzieht. Der Staat könnte bei einer Kultursteuer allgemeiner definieren, was Gemeinnützigkeit ist und wer der Begünstigte von Steuerzahlungen sein darf.
Mit Blick auf die jüngsten Diskussionen zum diesem Thema...
Ramelow: ...füge ich hinzu: Gemeinnützigkeit darf kein Tummelplatz sein für tagespolitische Auseinandersetzungen. Die Kultursteuer würde aber auch die Unterschiede zwischen den Religionsgemeinschaften steuerpolitisch egalisieren. Und jeder einzelne Steuerbürger könnte festlegen, wer sein Geld bekommen soll. Das könnten, um die Bandbreite mal aufzuzeigen, die verfasste Amtskirche sein oder Freikirchen, Synagogengemeinden, Moscheevereine ebenso wie Freidenker oder der Humanistische Verband.
Würde es bei Ihrem Vorschlag am Ende des Tages nicht für viele teurer - und bei den Kirchen landete womöglich weniger Geld als im jetzigen Kirchensteuersystem?
Ramelow: Letzteres kann niemand vorhersagen. Ehrlich gesagt sollte man bei den jetzigen Austrittszahlen aus den Kirchen so oder so darüber nachdenken, ob das ganze System überhaupt noch funktioniert in der Zukunft. Wenn man sich daran gewöhnt, dass die Quellen wie im Moment trotz Austritten sprudeln, liegt darin auch eine große Gefahr. Die Frage ist nämlich, wann bricht das ab, wann setzt die gegenläufige Entwicklung ein und was bedeutet das? Dann wird es bei den Kirchen umso bitterer, weil dann erst deutlich wird, wie viele Menschen ihnen den Rücken gekehrt haben in den zurückliegenden Jahren.
"Abgrenzung zwischen Verkündigung und wirtschaftlicher Tätigkeit sauber definieren"
Welche Rolle könnte ein Gemeindebeitrag spielen?
Ramelow: In meiner eigenen evangelischen Kirchengemeinde wird ein Gemeindebeitrag erhoben, wie in einigen ostdeutschen, aber kaum in westdeutschen Gemeinden auch. Das grenzt nach außen ab, schafft Unabhängigkeit, bringt aber auch innere Bindung mit sich. Für mich ist es ein wichtiges Teilelement meines Gemeindelebens. Man versteht sich als gemeinsame Verfasstheit. Bei Moscheegemeinden ist dieses Gefühl noch sehr viel stärker ausgeprägt.
Könnten denn die in der Weimarer Verfassung geregelten Staatsleistungen an die Kirchen abgelöst und gleichzeitig die Kirchen- in eine Kultursteuer umgewandelt werden?
Ramelow: Sicherlich, das beißt sich überhaupt nicht. Aber es geht auch das eine ohne das andere. Eine Kultursteuer würde uns staatlicherseits und unsere Kirchen in die Pflicht nehmen, aktiv zu handeln und nicht erst dann, wenn wieder irgendein Skandal passiert ist. Denken Sie etwa an die Debatten rund um den Limburger Bischofssitz. Ich glaube, im Zuge der Erinnerungsfeiern zu 100 Jahren Weimarer Reichsverfassung wäre die Zeit reif, offen und ohne Verlustängste darüber zu sprechen - im Interesse von Stabilisierung und Modernisierung. Aber wenn wir die Weimarer Reichsverfassung mit offenen Augen anschauen, dann braucht es ein Gesetz, das die Ewigkeitskosten in eine rechtsstaatlich saubere Schluss- und Ablöseform gießt.
Das dritte Reizwort neben Kirchensteuereinzug und Staatsleistungen ist das kirchliche Arbeitsrecht.
Ramelow: Ich halte den sogenannten dritten Weg für dringend überarbeitungsbedürftig. Erst vor kurzem gab es das vielbeachtete Urteil des Bundesarbeitsgerichts hier in Erfurt zum Fall eines wiederverheirateten katholischen Chefarztes. Wir sind gebunden und aufgefordert, europäisches Recht anzuwenden. Ich denke, es wäre gut, wenn wir die Abgrenzung zwischen Verkündigung und wirtschaftlicher Tätigkeit sauber definieren würden.
Was wird dann aus den Trägern?
Ramelow: Das ist keine Absage an die Diakonie, ganz im Gegenteil. Aber es ist eine Rollenverschiebung. Ich kenne große kirchliche Träger, bei denen es nichts zu beanstanden gibt und die durch eine solche Rollenverschiebung nichts zu verlieren hätten. Ich kenne aber auch große kirchliche Träger, die nicht gut mit ihrem Personal umgehen. Und die hätten mehr zu gewinnen als zu verlieren. Manches an Konflikten lässt sich eben nicht wegbeten. Ohne die kirchlichen Träger aber kriegen wir auch nie einen allgemein verbindlichen Pflege-Mindestlohn hin. Die kirchlichen Träger sind schließlich die Hauptträger in der Pflege. Ohne die gibt es keine Allgemeinverbindlichkeit.
Das heißt, Sie plädieren für eine Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts um der Zukunftsfähigkeit willen?
Ramelow: Die Träger werden am Ende in die Knie gehen, wenn die Löhne zum großen Kampffeld werden. Wenn man das weiß, wäre es gut, die Kirchen und die kirchlichen Träger würden von sich aus sagen, das kirchliche Arbeitsrecht muss modernisiert werden. Der dritte Weg ist meines Erachtens kein zukunftsfähiger Weg, jedenfalls nicht dort, wo diese Aufgaben im allgemeinen Wettbewerb erbracht werden. Es wäre einfacher, es würde für alle Arbeitnehmer das gleiche Recht gelten. Nochmal: Das würde die Diakonie überhaupt nicht schwächen. Innerhalb dieses Systems könnte man sogar weiter konfliktvermeidend arbeiten und damit bessere Standards setzen - ohne den kirchlichen Schutzmantel, der am Ende immer nur zum Streitfall an sich wird.
Wie weit würden Sie dabei gehen wollen?
Ramelow: Es gibt ein Prinzip, das mir heilig ist: Der Staat hat im Bereich der Verkündigung nichts zu suchen. An der Kirchentür hört sein Einfluss auf, da ist die Grenze. Und das meine ich im umfassenden Sinne, also auch mit Blick auf Kirchenasyl und alle anderen Fragen. Aus der Selbstverfasstheit der Kirchen hat sich der Staat rauszuhalten.