Missbrauch in der Kirche: Petition in Bayern

Richterhammer liegt neben zwei ´Büchern auf einem Tisch
succo / Pixabay
Forderung: ein eigenes Bayerisches Aufarbeitungsgesetz.
Opfer in den Fokus
Missbrauch in der Kirche: Petition in Bayern
Betroffene von sexualisierter Gewalt fordern vom Bayerischen Landtag ein eigenes Gesetz. Ihre Petition für unabhängige Gremien und mehr Unterstützung zählt bereits über 500 Stimmen – und prominente Rückendeckung.

Betroffene von sexualisierter Gewalt im Kindes- und Jugendalter wollen am Mittwoch (9. April) eine Petition an den bayerischen Landtag übergeben. Ihr zentrale Forderung: ein eigenes Bayerisches Aufarbeitungsgesetz. Dazu gehören eine unabhängige staatliche Aufarbeitungskommission, ein Betroffenenrat und ein Landesbeauftragter für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs - Gremien also, wie es sie auf Bundesebene bereits gibt. Die Petition hat den Titel "Gewalt an Kindern und Jugendlichen entschlossen entgegentreten!" und hat schon mehr als 530 Unterzeichner.

Der Sprecher des Betroffenen-Beirats in der Erzdiözese München und Freising und Initiator der Petition, Richard Kick, erzählt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), welche prominenten Unterstützer es gibt, warum die Täter mehr im Blick sind als die Opfer und mit welchen lebenslangen Folgen die Betroffenen zu kämpfen haben.

epd: Herr Kick, wie kam es zur Petition?

Richard Kick: Die Idee dazu hatte ich schon vor über einem Jahr, als ich an einer Fachtagung über sexualisierte Gewalt in Bayern teilgenommen habe - und die Lücken in Sachen Aufarbeitung offenkundig waren. In der Petition geht es darum, dass Gewalt in Institutionen in Bayern systematisch aufgearbeitet und aufgeklärt werden muss. Außerdem müssen die Betroffenen besser unterstützt werden.

Konkret heißt das: Bayern braucht - wie auf Bundesebene auch - auf alle Fälle eine unabhängige, wissenschaftlich begleitete, staatliche Aufarbeitungskommission, einen Betroffenenrat und einen Landesbeauftragten, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Das alles haben wir bislang nicht.

"Die Kirchen sind in diesem Fall Täterorganisationen und können nicht automatisch selbst aufarbeiten. Dazu bräuchte es unabhängige staatliche Anlaufstellen"

Sie sind Sprecher des Betroffenen-Beirats in der Erzdiözese München und Freising. Für das Erzbistum wurde 2022 ein umfassender Missbrauchsbericht vorgestellt, aus denen Handlungsfelder abgeleitet wurden. Meinen Sie das mit systematischer Aufarbeitung?

Kick: Einige Bistümer sind schon gut vorangekommen. In anderen Bereichen, wo sexueller Missbrauch gehäuft auftritt, zum Beispiel in Sportvereinen, in Schulen oder in den Familien, ist das noch nicht so. In so vielen Bistümern und Landeskirchen werden jetzt eigene Missbrauchsgutachten erstellt. Das ist zunächst mal gut, weil es zeigt, dass das Bewusstsein für das Thema "Sexueller Missbrauch" da ist. Aber: Die Kirchen sind in diesem Fall Täterorganisationen und können nicht automatisch selbst aufarbeiten. Dazu bräuchte es unabhängige staatliche Anlaufstellen.

Richard Kick, Sprecher des unabhängigen Betroffenenbeirats in der Erzdiözese München und Freising.

Das klingt einleuchtend. Woran hakt es dann? Die Forderung nach unabhängigen Anlaufstellen ist ja nicht neu...

Kick: Ich habe einige Male mit Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) gesprochen. Sie sieht aber keine Dringlichkeit für eine eigene Aufarbeitungskommission und einen Landesbeauftragten. Die Gründe dafür erschließen sich mir nicht. Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Kerstin Claus, betont ja immer wieder, dass die Bundesländer solche Gremien bräuchten. Nur Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben sie bislang eingeführt.

Ihre Petition richtet sich an den Landtag, und nicht an die Staatsregierung oder einzelne Kabinettsmitglieder...

Kick: Im Bayerischen Landtag werden die Gesetze gemacht - eine Aufarbeitungskommission, ein Betroffenenrat und ein Landesbeauftragter müssten natürlich in ein Gesetz eingebettet sein. Genau das wollen wir: ein eigenes Bayerisches Aufarbeitungsgesetz. Deshalb übergeben wir unsere Petition am 9. April an die Vorsitzende des Sozialausschusses, Doris Rauscher (SPD), und ihren Stellvertreter Thomas Huber (CSU). Beide unterstützen unser Anliegen.

Wer unterstützt denn noch alles Ihre Petition?

Kick: So prominente Institutionen wie das Münchner Erzbistum, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die bayerische evangelische Landeskirche zum Beispiel. Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Christian Kopp haben uns explizit ihre Unterstützung ausgesprochen. Die Kirchen stecken ja mitten im Aufarbeitungsprozess und haben daher ein großes Interesse an staatlichen Anlaufstellen, die einheitliche Richtlinien und Strukturen vorgeben.
Unterstützt werden wir auch von der Anwaltskanzlei "Westpfahl Spilker Wastl", die das Missbrauchsgutachten für das Münchner Erzbistum erstellt hat. Insgesamt haben wir bislang mehr als 530 Unterzeichner.

Ihnen ist vor allem der Blick auf die Betroffenen wichtig - warum?

Kick: Wenn Staatsanwaltschaften zu Fällen sexuellen Missbrauchs ermitteln, haben sie automatisch den Täter im Blick. Die Täter werden bestraft, um die Opfer kümmert sich erstmal keiner. Vor wenigen Tagen wurde ein weltweites Pädophilen-Netzwerk ausgehoben, mit rund zwei Millionen Nutzern. Stellen Sie sich mal vor, wie viele Kinder dafür missbraucht wurden, und mit welchen Folgen für ihr weiteres Leben!

"Ich habe mit so vielen Betroffenen zu tun, die mir von Alkoholproblemen erzählen, Schwierigkeiten in der eigenen Familie, abgebrochenen Berufsausbildungen – und letztlich finanziellen Schwierigkeiten bis hin zu Armut im Alter"

Sie haben viel mit Betroffenen zu tun, gibt es einen klassischen Lebenslauf von Missbrauchsbetroffenen?

Kick: Jedes Schicksal ist individuell. Aber dennoch gibt es Muster. Typisch für Betroffene von sexuellem Missbrauch sind psychische Probleme, Suchtprobleme, Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Brüche im Lebenslauf. Ich habe mit so vielen Betroffenen zu tun, die mir von Alkoholproblemen erzählen, Schwierigkeiten in der eigenen Familie, abgebrochenen Berufsausbildungen - und letztlich finanziellen Schwierigkeiten bis hin zu Armut im Alter.

Sind sich die Betroffenen dessen bewusst?

Kick: Nicht alle bringen ihre Probleme mit dem sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit in Verbindung. Selbst die Betroffenen haben also nicht auf dem Schirm, welches Unrecht ihnen eigentlich widerfahren ist. Ich bin selbst Betroffener und habe mir ein psychiatrisches Gutachten anfertigen lassen. Darin steht auf 70 Seiten, dass zweifelsfrei der sexuelle Missbrauch für die Schwierigkeiten, die ich in meinem Leben hatte, verantwortlich war. Viele wissen nicht mal, dass sie ein Recht auf Therapie haben.

Was sind nun Ihre Forderungen mit Blick auf die Betroffenen?

Kick: Die individuellen Rechte der Betroffenen müssen deutlich gestärkt werden. Es braucht zum Beispiel Entschädigungs- oder Anerkennungszahlungen für erlittene Traumata, Verdienstausfälle oder Berufsunfähigkeit. Außerdem ist ein geeignetes Therapieangebot, eine juristische Begleitung oder das Recht auf Akteneinsicht nötig, um nur einige Punkte zu nennen.

Sie kämpfen seit Jahren für die Rechte von Betroffenen. Ist das auch ein Kampf gegen Windmühlen?

Kick: So würde ich das nicht sehen. Ich erfahre viel Zustimmung von allen Seiten. Dazu kommt, dass ich strategisch denke. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen.