Wie kann der digitale Wandel innerhalb der evangelischen Kirche umgesetzt werden? "Eine digitale Kirche braucht mehr In-House-Kompetenz", plädiert Medien- und Kommunikationswissenschaftler Ingo Dachwitz. Die ästhetischen Ansprüche und der Bedarf nach hochwertigen Multimedia-Inhalten stiegen. Das Internet mache schließlich nicht an landeskirchlichen Strukturen Halt. Philipp Greifenstein, Begründer des Online-Magazins "Die Eule", gibt zu bedenken, dass seine Generation, er ist Jahrgang 1988, evangelische Kirche als eine Institution wahrnehme. Viele Nutzerinnen und Nutzer, die er kennt, würden gar nicht unterscheiden, woher eine kirchliche Information komme, ob von einer Gemeinde, von einer Landeskirche oder der EKD. Entscheidend sei, dass die Information sie überhaupt erreiche.
Ingo Dachwitz stellt sich daher einen übergreifenden Social-Media-Newsroom mit 30 Leuten für alle evangelischen Kirchen mit einzelnen Regionalfenstern vor und erinnert an die Ideen der Jugenddelegierten in einer früheren Synode der EKD. Auch würden authentische Vorbilder benötigt, zum Beispiel Bischöfe, die glaubhaft den digitalen Wandel vorlebten.
Derzeit arbeitet nicht nur die EKD gerade an einer Digitalisierungsstrategie ihrer Institution, sondern zusätzlich auch alle 20 Landeskirchen in Deutschland. Im Plenum war man sich einig, dass dabei aber nicht jede das Rad neu erfinden müsse. Nur einzelne Landeskirchen wollten das Rad eben selbst neu erfunden haben, statt das bereits Erarbeitete von anderen anzunehmen.
"Kirche hat die Aufgabe, die Menschen in Veränderungsprozessen zu begleiten", sagt Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Digitale Baustellen gibt es reichlich. "Wir brauchen im Blick auf die Kampagnenfähigkeit der Kirche neue Formate", fordert Klaus Motoki Tonn, Direktor der Evangelischen Medienarbeit und Leiter Kommunikation der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und plädiert für die "takeover"-Methode. Ein Influencer übernimmt für eine kurze Zeit die Kontrolle beispielsweise über einen kircheneigenen Instagram-Account, um neue Nutzerinnen und Nutzer anzuziehen.
Neue spirituelle Orte schaffen
Digitalisierung passiert auf vielen Ebenen, wie sich rasch in der fortschreitenden Diskussion zeigt, moderiert von Julia Koll, der Studienleiterin der Tagung, und dem Mitorganisator Jonas Bedford-Strohm. Früher habe jeder gewusst, wo Kirche stattfindet: in der Dorfmitte. Nachts wurde den Kirchenbau mancherorts sogar mit Licht angestrahlt. "Heute, auf Google, Facebook & Co., muss man die Kirche hingegen regelrecht suchen, um sie zu finden", sagt Daniel Tietjen, Leiter der Telefonseelsorge Elbe-Weser, zuständig für das Digitalprojekt der Telefonseelsorge Deutschland.
Nun habe die evangelische Kirche im Jahr 2018 Schwierigkeiten, an ihre Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen, Menschen zu erreichen, bemängelt Kristin Merle, Praktische Theologin an der Universität Hamburg. Dabei boome doch das Thema Religion im Netz. "Religiöse Kommunikation nehme ich überhaupt nicht vernischt war", macht sie klar. Im Netz finde sie öffentlich statt und sei zugleich zugänglich für alle Interessierten. Die Kirche hat ein großes großes Potential. Sie könne schon seit Jahrhunderten gut Geschichten erzählen, mache das aber nicht digital, moniert der Medien- und Kommunikationswissenschaftlicher Ingo Dachwitz. "Dabei ist alles, was wir Evangelium nennen, am Ende immer ein Medienphänomen", erzählt Marcell Saß von der Praktischen Theologie und Religionspädagogik der Philipps-Universität Marburg. Die Menschen haben schon immer versucht, eine transzendente Erfahrung in Worte zu fassen. Das ist auch eine Chance. Dadurch können gänzlich neue Online-Formen enstehen, etwa spirituelle Aufmerksamkeitsorte, sagt Johanna Haberer von der Christlichen Publizistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Die Kraft der Veränderung
Sandra Bils, Pastorin von Kirche2, befasst sich mit der "Kirchenentwicklung" mit Blick auf die Frage: Wie verändern sich Kirche und Kirchenbilder durch digitale Formen der Kommunikation? Sie ist davon überzeugt, dass man innerkirchlich nicht von oben nach unten steuern könne. Dabei bezieht sie sich auf Matthias Schrader, CEO von Sinner Schrader, wenn sie sagt: "Die digitale Transformation findet zuerst beim Nutzer statt, dann im Markt und zuletzt im Unternehmen." Sie schlussfolgert: "Viele denken, dass das Unternehmen die Rahmenbedingungen vorgibt. Das machen aber die Nutzer". Auch würde viel zu wenig gefragt, warum wir etwas machen. Übliche Fragen seien vielmehr: was und wie? Dabei liege die Kraft der Veränderung in einem Haltungswechsel. Menschen sollten sich, bevor sie mit etwas Neuem anfangen, erst einmal ihrer Aufgabe bewusst sein. "Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf. Erkennt ihr's denn nicht?" (Jesaja 43,19).
Manchmal aber geht es auch direkt um Leben und Tod. "Siri? Alexa? Wie kann ich mich gut umbringen?" Diese Frage werde dem Sprachassistenten häufiger gestellt, informiert Oberkirchenrat Ralph Charbonnier, Referat Sozial- und Gesellschaftspolitik vom Kirchenamt der EKD. Die evangelische Kirche steht tatsächlich vor einem Dilemma. "Unterstützen wir die Betreiber darin, ihren Sprachassistenten auch christliche Sichtweisen zu vermitteln und lassen Hilferufe auch direkt an die Telefonseelsorge weiterleiten oder lassen wir Menschen in ihrer Not allein? Sollte man die Unternehmen nicht besser unterstützen, wenn sich dadurch weniger Menschen das Leben nehmen? Oder geben wir mit der Preisgabe unserer Daten die Selbstbestimmung auf?" Darüber muss weiter gesprochen werden. Charbonnier blickt auf die Veränderungen der Kirche durch die digitale Kommunikation und fasst die Meinung stellvertretend für einzelne Teilnehmer der Tagung zusammen. Die Kommunikationsstruktur und Kultur der heutigen Onlinemedien hätten sich so stark verändert, dass sie nicht mehr mit der Organisationstruktur und Leitungsstruktur der evangelischen Kirche im Jahr 2018 zusammenpassten.
Benutzerfreundlichkeit schlägt Sicherheit
Die Datensicherheit, die grundsätzlich gut ist, schlägt hohe Wellen. So erzählt Kirchenrat Dan Peter, Leiter des Referats Publizistik und Gemeinde und Mitglied der Projektgruppe Digitalisierung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, von seiner Erfahrung eines digitalen Projekts anlässlich des Reformationsjubiläums 2017. Die Akzeptanz für datengesicherte Räume in geschlossenen Foren sei überhaupt nicht da gewesen. Daher plädiert er dafür, ehrlich hinzuschauen, wie viele Nutzerinnen und Nutzer wirklich erreicht würden. Für viele sei die Benutzerfreundlichkeit eines Online-Angebots nunmal sehr wichtig. Sie schlage im Alltag oftmals die Datensicherheit. Auch Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland, kritisiert, dass Kirche mit ihren Firewalls neue Klostermauern aufbauen würde. Er beklagt: Die Nutzung von WhatsApp solle nicht erlaubt sein, das Versenden von Newslettern würde für die Gemeindearbeit unmöglich gemacht und ein gemeinsamer Google-Kalender, etwa im Gemeindebüro, sei aus Datenschutzgründen auch nicht erwünscht.
Ein Vorteil ist: Teilen ist eine weitverbreitete protestantische Tradition. Die christliche Botschaft zu teilen, das ginge auch gut auf Facebook und Instagram, plädiert Ingo Dachwitz. Die Aufgabe der Kirche in der digitalisierten Welt sei es aber auch, Schutzräume zu bieten, sagt Florian Höhne, Systematischer Theologe mit dem Schwerpunkt Ethik an der Humboldt-Universität Berlin, etwa vergleichbar mit Beicht- und Seelsorgereäumen. Im Internet sind Menschen zahlreichen Fremdurteilen ausgeliefert. "So wird Datenschutz auch zur theologischen Frage", sagt Höhne. Er fragt halb scherzhaft: Warum hat die Kirche eigentlich nicht Facebook erfunden? Sie sei doch bereites seit Jahrhunderten Teil eines funktionierenden Kommunikations- und Beziehungsnetzes, das Menschen verbinde. Er blickt als Bespiel auf ein fränkisches Dorf, das schon lange mit Menschen aus Tansania verbunden sei, bevor man an Facebook auch nur habe denken können.
Im Netz der Vielfalt
Es gilt, die eigene Filterblase zu überwinden, ermuntert Petra Bahr, Landessuperintendentin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. "Folgt auch Leuten, die nichts mit Kirche zu tun haben. Dann kommt es zu interessanten Diskussionen." Man soll sich also auch der Welt der Anderen öffnen - und da sein. "Ihr seid das Salz der Erde" (Matthäus 5,13). "Lasst uns aus dieser Heilszusage was machen", ermutigt Alexander Filipovic von der Hochschule für Philosophie und Leiter des Zentrums für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft in München. Er ist überzeugt: "Der Glaube funktioniert nicht ohne Gerechtigkeit". Daher hätten Christen auch stets die Aufgabe, für eine gerechte Gesellschaft zu sorgen. Das beinhalte auch die Beteiligungsgerechtigkeit, dass alle Menschen ihre Lebenswirklichkeit mitgestalten können. "Wir müssen uns vernetzen, nicht nur mit anderen Glaubensgemeinschaften, sondern auch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren."
Jedes Vorhaben kostet Geld und Zeit. "Wer glaubt, Digitalisierung gibt es zum Nulltarif, der täuscht sich gewaltig", sagt Michael Brinkmann, Leiter der Stabsstelle Kommunikation im Kirchenamt der EKD und Mitglied des EKD-Projektteams "Kirche im Digitalen Wandel". Er plädiert für eine mutige Entscheidung auf der Synode der EKD im Herbst 2018. Für ihn ist die Digitalisierung eine missionarische Chance. Brinkmann sieht einen Schatz in den rund 15.000 evangelischen Gemeinden: "Wir müssen die Lokalität mit Digitalität verknüpfen und somit Starkes noch stärker machen."
Ingo Dachwitz fragt nach Richtungsentscheidungen: "Transformieren wir ein bisschen oder richtig? Setzen wir auf Kontrolle oder auf Öffnung, auf die Hierarchie oder auf Netzwerke? Arbeiten wir zusammen oder jeder für sich? Gestalten wir auch selbst oder reden wir nur? Wollen wir das Silicon Valley sein oder Berlin?" Das Silicon Valley stehe hierbei für eine kommerzielle Ausschlachtung der Nutzerdaten und Berlin für einen alternativen benutzerfreundlicheren Weg. Er fragt weiter: "Entwickeln wir eine Theologie des Digitalen oder nur Apps und Projekte?".
Bei allen Überlegungen über Künftiges hatte allerding auch das Gebet auf der Tagung seinen Raum. Die Twomplet, ein Nachtgebet auf Twitter, wurde von Pfarrer Christoph Breit zusammen mit vielen andern in der Kapelle und online gehalten. Dass es eine digitale Strategie der evangelischen Kirche braucht, steht außer Frage. Für die Brückenbauer und Vordenker ist klar, dass die Zeit des Handelns angebrochen ist. Die Weichen werden auf der Synode der EKD im Herbst 2018 gestellt.