Studentin trifft Friedensaktivist aus 80er-Jahren

Illustration von Friedenstaube auf Panzer
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Die Friedenstaube auf einem abgeknickten Panzerrohr symbolisiert den Wunsch nach Frieden auf einem Anti-Kriegsplakat.
Engagement für den Frieden
Studentin trifft Friedensaktivist aus 80er-Jahren
Die Friedensbewegung in Deutschland hat eine lange Tradition. Große Demonstrationen prägten vor allem die 80er-Jahre. Doch wie sieht es heute aus, was vereint oder trennt die Generationen und was können sie voneinander lernen? evangelisch.de-Redakteurin Katja Eifler im Gespräch mit zwei christlichen Friedensaktivist:innen.

Vera Leisinger studiert und ist aktiv in der Evangelischen Stadtjugendvertretung Frankfurt, im Rat der Evangelischen Jugend und engagiert sich in der Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau (EJHN). Sie ist Friedensmentorin und aktiv bei Peace for Future. Bruno Ehret ist Rentner und war bis 2024 Jugendreferent des Evangelischen Dekanats Bergstraße. Seit der Jugend ist er aktiv in der Friedensarbeit, geht auf Demos und erfüllt bis heute stundenweise seinen Auftrag für Popularmusik.

evangelisch.de: Wie würdet Ihr beide Euer Engagement beschreiben?

Bruno Ehret: Unsere Jugendvertretung ist sehr aktiv gewesen, auch in der Friedensbewegung. Bei Friedensdemos waren wir schon immer dabei. Heute unterstütze ich Fridays for Future. Das ist erstmal eine Ökologiebewegung, aber sie ist sehr orientiert daran, die Erde zu erhalten, und das geht auch nur in Frieden. Mein Herz ist schon seit den 80ern bei der Friedensbewegung, die Zeit, wo der Nahtdoppelbeschluss fiel. Da hatten wir den kalten Krieg und noch die Grenze zur DDR. Es gab klare Fronten. Was heute etwas schwieriger ist, weil es verschiedene Ansätze gibt, wie man Frieden erhalten sollte. Das ist auch das, was ich am ehesten als Unterschied zwischen früher und heute bemerke.

Vera Leisinger: Mir geht es vor allem darum, das Friedensthema in der evangelischen Jugend möglichst stark einzubringen. Ich spreche häufig in der Stadtjugendvertretung darüber und mache Angebote, zum Beispiel Workshop-Themen. Wir haben auch in der EJHN den Antrag gestellt, dass sich eine Vollversammlung mit dem Thema beschäftigen soll. Daraus ist dann eine Projektgruppe entstanden, die sich mit Frieden beschäftigt. Da bin ich dabei. Wir arbeiten mit Menschen zusammen, auch in der Landeskirche und gucken, wie wir das Thema Frieden und die Anliegen junger Menschen dazu behandeln können.

Jetzt stellen wir zusammen, wie man sich im Falle einer möglichen künftigen Wehrpflicht dem Kriegsdienst entziehen könnte. Letztes Jahr im Frühling war ich außerdem in Cochem bei einer Protestaktion gegen Atomwaffen und habe mich ein wenig mit der Evangelischen Kirche im Rheinland vernetzen können. Und ich bin Friedensmentorin. Es gab einmal ein Positivszenario für 2040 von einer Initiative namens "Sicherheit neu denken". Davon ausgehend gibt es die Jugendorganisation Peace for Future. Da geht es darum, junge Menschen zu befähigen, sich in der Friedensthematik zu engagieren. In der Ausbildung lernt man, wie man Frieden im privaten Umfeld herstellen kann, aber auch wie man sich zu Friedensthemen äußert. Und es werden Grundlagen für Mediation sowie zur Friedens- und Konfliktforschung vermittelt.

Studentin Vera Leisinger

Bruno, was hat Dich dazu bewegt, in den 80er-Jahren an Demonstrationen teilzunehmen?

Bruno: Ich war Zivildienstleistender in der evangelischen Kirche in Lampertheim. Der Pfarrer dort war sehr aktiv, er ist unter anderem mit uns auf die Ostermärsche gefahren. Als ich dann in Frankfurt studiert habe, führte kein Weg an dieser Thematik vorbei. Ich habe ein sehr politisches Studium als Sozialarbeiter und als Diplompädagoge absolviert. Es herrschte die Meinung vor, dass sich Westdeutschland gegenüber den Amerikanern immer sehr loyal verhalten musste. Wir hatten ja keinen Friedensvertrag, wir waren ja noch ein offiziell besetztes Land und die Kriegsgefahr war hoch.

Bruno Ehret bei seiner Verabschiedung im Jahr 2024

Vera, was hat Dich motiviert?

Vera: Es ist definitiv aus dem religiös motivierten Pazifismus entsprungen. Ich habe mir überlegt, OK, eigentlich möchte ich mit Gewalt nichts mehr zu tun haben. Ich habe mit meiner Familie darüber gesprochen. Meine Eltern waren selber früher in der Friedensbewegung aktiv und haben mir dann ein Buch gegeben von Gudrun Pausewang "Etwas lässt sich doch bewirken". Das Buch hat mich berührt und mir den Mut gegeben mich für Workshops zu diesem Thema anzumelden. Ich war sehr froh, dass ich darüber in der Evangelischen Jugend sprechen konnte, und dass ich da Zuspruch gefunden habe und Menschen, die sich dafür auch begeistern haben lassen.

Bruno: Die Menschen, die sich für Frieden und Abschaffung der Waffen einsetzen, sind sehr sympathische Menschen, die haben einen ähnlichen Charakter wie ich. Nicht so Gewalt besetzt. Ich hatte vor Gewalt immer sehr viel Angst. Mein Vater kam als Kriegsversehrter aus dem Krieg. Er war in Russland und wurde angeschossen. Es war sehr dramatisch für uns. Später, als ich älter war, habe ich reflektiert, was da eigentlich los war und wozu der das gemacht hat. Er hatte ja keine Wahl, er musste mit 17 einrücken, ob er wollte oder nicht. Damals hat man Menschen, die sich weigerten, ja sogar erschossen. Ich habe aber auch so eine Motivation wie Vera, aus meinem Glauben heraus.

Bruno: "Es ist meine Aufgabe, hier auf der Welt für den Frieden einzutreten." 

Es ist meine Aufgabe, hier auf der Welt für den Frieden einzutreten. Wir haben jetzt die ganzen Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg Frieden in Deutschland und jeder genießt das. Wir haben es geschafft, diese Seite hochzuhalten. Es wird immer Menschen geben, die Krieg befürworten aus irgendwelchen Gründen. Und Menschen, die haben von Hitler gelernt, noch brutaler zu sein. Dieser Art Menschen muss man die Kante zeigen. In den 80e- Jahren gab es die Meinung, wenn uns die amerikanischen Pershings nicht beschützen, dann werden wir morgen von den SS 20 getroffen. Da mussten wir Haltung zeigen. Bei mir war die Motivation also auch die tatsächlich vorhandene Angst. Und der biblische Auftrag "selig sind die Friedfertigen" aus der Bergpredigt.

Engagiert sich die Kirche aus eurer Sicht genug für dieses Thema heute?

Vera: Ich finde: noch nicht genug. In letzter Zeit wurden ja auch ein paar Projekte wieder eingestampft und das ist dann nicht so ein richtig gutes Zeichen. Ich glaube, dass die Kirche da mehr machen könnte.

Bruno: Die Kirche ist momentan in der Situation, sich selbst irgendwie zu retten, ist mein Gefühl. Und alle anderen Themen, die vielleicht dazu beitragen könnten sie zu retten, werden vernachlässigt. Wie zum Beispiel die Haltung, "ich bin radikal pazifistisch". Da sind auch Leute für, die noch nicht in der Kirche sind und die gehen dann aber vielleicht mit in die Kirche. Es ist zweischneidig. Bei uns in der evangelischen Kirche wird viel von oben bestimmt, aber letztendlich kann man von unten auch was bewegen.

Gab es einen besonderen Moment, in dem Ihr Euch berührt gefühlt habt?

Vera: Letztes Jahr in Cochem bei der Demo vor einem Atomwaffenstützpunkt. Ich war zum ersten Mal bei einem Workshop von der Evangelischen Jugend im Rheinland und bei einem Gedenkgottesdienst. Da bin ich mit den älteren Menschen in der Friedensbewegung in Kontakt gekommen bin. Raus aus dieser Bubble, in der ich hier drin bin. Wenn man zusammen Kaffee trinkt, dann kann man sich einfach deutlich besser austauschen als in Chatgruppen, wo man sich dann über genaue Definition von irgendwelchen Wörtern zerfasert. Ich konnte neue Ideen aufnehmen. Das hat mich stark berührt.

Bruno: Bei mir natürlich die Demonstration, die in Bonn gegen die Pershing 20 war. Wir waren eine halbe Million Menschen dort. Es war ein elend heißer Tag und die Menschen in Bonn haben uns mit Wasser versorgt und abgekühlt. Wir waren willkommen in dieser Stadt, es war eine große Bewegung. Wir saßen auf der Heimfahrt im Bus und haben zusammen Franz Josef Strauß im Radio gehört. Das war damals der Ministerpräsident von Bayern, von der CSU, was der alles gesagt hat über uns, wir seien Chaoten und so. Uns hat das zusammengeschweißt.

Habt Ihr das Gefühl, dass Euer Engagement etwas bewirkt?

Bruno: Ja, es hat für die Menschen, die dabei waren, auch wenn die Pershings ja doch stationiert wurden, einen gemeinsamen Geist erschaffen, der sich bis heute fortsetzt. Ich kann mich in Vera total hineinversetzen, weil ich, als ich so alt war wie sie, auch so gedacht habe. Es ist generationsübergreifend. Da geht es dann nicht mehr um Jung oder Alt, Mann, Frau oder Divers, sondern es geht darum, dass man auf der Seite derer steht, die den Frieden bewahren möchten. Und das geht eigentlich nur ohne Waffen. Obwohl ja auch gesagt wird, wenn die Alliierten gegen Hitler keine Waffen gehabt hätten, dann hätte man dieses Regime nicht stoppen können. Man darf das Pendel im Kampf für den Frieden gar nicht mehr erst so weit ausschlagen lassen, denke ich. 

Vera: "Es bedeutet darüber mit Menschen ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, dafür setze ich mich ein, das ist mir wichtig und vielleicht fängt es ja dann auch an, dir wichtig zu sein."

Vera: Ich glaube erstmal, dass ich die Arbeit nicht unbedingt nach direktem Effekt bewerte, weil dann würde ich, glaube ich, aufhören. Also jede Art von Aktivismus muss irgendwie aus einer Grundüberzeugung herauskommen und meine richtet sich gegen Militarisierung, gegen Gewalt und gegen Populismus. Das bedeutet darüber mit Menschen ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, dafür setze ich mich ein, das ist mir wichtig und vielleicht fängt es ja dann auch an, dir wichtig zu sein. 

Was glaubt Ihr, wie unterscheiden sich die Methoden der Friedensbewegung damals und heute? 

Vera: Die Friedensbewegung spielt sich heute größtenteils online oder in Chatgruppen ab und ich glaube, früher ist man dann demonstrieren gegangen und es hat Aktionen des zivilen Ungehorsams gegeben. So etwas gibt es heute weniger. Ich habe das Gefühl, dass das eher die Klimaschutzbewegung durchführt. Wir jungen Menschen, ich beziehe mich ein, gehen nicht auf so viele Demonstrationen. 

Woran liegt das? 

Vera: Ich glaube, es liegt daran, dass viele Menschen, die heute in der Friedensbewegung aktiv sind, sich vielfach engagieren, die sind dann auch in der Klimaschutzbewegung aktiv. Die Frage ist: Schafft man es, genug Menschen aufzutreiben, um wirklich irgendwas Größeres auf die Beine zu stellen? Alle würden unterschreiben, dass es Ihnen ein wichtiges Anliegen ist, aber, wenn ich sie dann frage, ob sie es schaffen, Zeit und Ressourcen dafür aufzutreiben, na ja….

Bruno, meinst du dadurch, dass man weniger Themen hatte, dass es damals dann leichter war, sich zu aktivieren?

Bruno: Also wir hatten auch drei Themen in der evangelischen Kirche: die Friedensbewegung, die Gerechtigkeit, etwa in Nicaragua und die Bewahrung der Schöpfung, also die Umwelt. Aber wir hatten damals einen entscheidenden Vorteil, wir mussten uns treffen, wir hatten keine Smartphones oder sowas wie Facebook. Das hat die Welt, finde ich, sehr verändert.

Wie ist es denn damals gelungen, Leute zu aktivieren? 

Bruno: Es gab immer diese Alphatiere, also diejenigen, die voraus gegangen sind und die viel wussten, wie unser Pfarrer. Das habe ich, weil ich es als gut und richtig empfinde, auch so übernommen, als ich in der Verantwortung war. Du kannst es dann weitergeben an Jugendliche, aber nur wenn es dir gelingt, auch die nötige Empathie dafür aufzubringen. 

Wie wirksam ist denn der digitale Raum?

Vera: Es gibt Menschen, die sich unfassbar gut mit sozialen Medien auskennen, dazu gehöre ich nicht, und die das auch besser erklären können. Aber, wir sehen es ja an der Wahl jetzt in den Umfragewerten, wie stark soziale Medien jungen Menschen beeinflussen. Ich glaube, das ist ein total wirksamer, relevanter Raum. Aber ich habe für mich beschlossen, das ist nicht meiner. 

Was ist die größte Herausforderung, wenn man sich für den Frieden einsetzen will?

Vera: Also ich würde sagen, das sind die Menschen, die immer dagegenhalten. Als ich angefangen habe, hieß es die ganze Zeit, das ist doch irrelevant, wir leben doch im Frieden, warum kümmerst du dich darum? Dann hat der Ukraine-Krieg begonnen und dann war es plötzlich anders. Da hieß es: Wie kannst du denn jetzt noch solche Ansichten haben? Widerstand gibt es immer und es ist sehr zermürbend. Auch wenn man die Nachrichten guckt, dann geht es da leider nicht um Frieden, sondern da dreht es sich um Krieg. Es werden Nato-Generalsekretäre und Militärexperten oder Militärhistoriker interviewt, aber eigentlich nie Menschen, die tatsächlich Friedens und Konfliktforschung studiert haben. Es gibt viele wissenschaftliche Ansätze zum Thema Frieden aber die finden kein Gehör. 

Bruno: "Als Musiker kann ich Friedenslieder singen und die berühren alle gleich, egal welche Generation, weil wir ja das gleiche Thema haben."

Bruno: Ich glaube, dass die Freude und die Lust an dieser Arbeit schwerer hervorzuholen sind. Ich habe das Gefühl, beispielsweise im Zoom, dass alles nicht so tief geht, wie wenn man sich trifft. Da können auch menschliche Sachen zum Tragen kommen. Diese Ebene fehlt. Es müsste wieder mehr in den Mittelpunkt rücken, dass man sagt: Komm, wir treffen uns jetzt da oder nun macht mal. Ich habe noch die Musik. Als Musiker kann ich Friedenslieder singen und die berühren alle gleich, egal welche Generation, weil wir ja das gleiche Thema haben.

Vera: Genau, da stimme ich zu. Ich bin hier in der Band im Dekanat Frankfurt und Offenbach. Wir haben ein Friedensliedersingen veranstaltet. Das war total schön. Und da haben wir auch die alten Lieder gesungen. Und eine Frau im Publikum sagte im Anschluss, wie berührend sie es fand, mal wieder, das Lied "Das weiche Wasser" zu hören.

Was ist das beste Argument für den Frieden aus Eurer Sicht? 

Vera: Mir fällt da jetzt gerade nur ein Zitat ein. Ich glaube von Willy Brandt: "Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts". 

Bruno: Wir stecken alle in einem verletzbaren Körper. Im Krieg geht es darum diesen zu zerstören. Es ist sinnlos, jemanden umzubringen.

Was ist besonders beeindruckend an der anderen Generation?

Bruno: Es gibt noch Jugendliche die sich treffen und sie sind eine Gemeinschaft und mit dem Herzen dabei. Da gehe ich gerne hin.

Vera: Mich beeindruckt bei der älteren Generation, der Mut. Also, dass sie es gemacht haben, obwohl die Risiken viel größer waren.

Warum sollte ich mich heute noch für den Frieden engagieren? 

Vera: Ich glaube, das ist ein Thema, das nie aufhört relevant zu sein. Wir sind weit weg von Frieden. Militarisierung, in jeder Form, führt zu Gewalt, führt zu Unfreiheit und führt zu Krieg. Und deshalb bleibt es so bedeutend, sich für Frieden einzusetzen.

Bruno: Frieden ist ja nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern es ist eine innere Einstellung, und die ist ganz wichtig, weil nur so das Überleben gesichert und sicherer wird. Dafür lohnt sich es.