An Realitätssinn habe es im Jahr des Reformationsjubiläum 2017 "offenkundig mancherorts gemangelt", sagte der Ordinarius Ulrich H. J. Körtner für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien dem Evangelischen Pressedienst (epd). Papst Franziskus "ist eben doch nicht so progressiv, wie viele glauben".
Der Vatikan hatte überraschend die von den deutschen katholischen Bischöfen mehrheitlich beschlossene Handreichung zum Kommunionempfang von nicht-katholischen Ehepartnern in ihrer bisherigen Form abgelehnt. Der Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Luis Ladaria, betonte in seinem im Internet-Blog des italienischen Vatikanexperten Sandro Magister veröffentlichten Schreiben, die Handreichung sei noch nicht reif für eine Veröffentlichung. Sie werfe eine Reihe von Fragen auf. Daher sei es angemessen, weiterhin dem Ortsbischof die Entscheidung über die Zulassung eines nichtkatholischen Ehepartners zur Kommunion zu überlassen.
Körtner erklärte, nachdem Franziskus "zunächst selbst dazu beigetragen hat, dass die römische Zentralmacht in Frage gestellt wird, zieht er nun die Reißleine und genauso wie seine Vorgänger eine rote Linie, wenn es in lehramtlichen Fragen ans Eingemachte geht". "Vielleicht kehrt jetzt ja nach der anfänglichen Franziskus-Begeisterung, die es auch unter evangelischen Christen gab, endlich wieder die Nüchternheit ein, welche die Ökumene braucht."
Im Jahr des 500. Reformationsjubiläums 2017 seien in Deutschland und weltweit hohe ökumenische Erwartungen geweckt worden, sagte Körtner. "Viele Hoffnungen richteten sich auch auf Papst Franziskus. Nun hat er den hoch gespannten Erwartungen innerhalb weniger Tage gleich mehrere gehörige Dämpfer versetzt", sagte Körtner. Auch bei der Audienz mit deutschen Vertretern des Lutherischen Weltbundes am Montag habe der Papst "auf die ökumenische Bremse" getreten.
Roms Entscheidung in der Kommunionsfrage bedeute nicht nur für den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, einen "Gesichtsverlust". Sie sei auch "peinlich" für die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die ganz auf den Münchner Erzbischof gesetzt habe.
Ende Februar hatte die Bischofskonferenz mit mehr als Drei-Viertel-Mehrheit beschlossen, eine pastorale Handreichung für das Abendmahl von Ehepaaren unterschiedlicher Konfession auf den Weg zu bringen. Sieben Bischöfe unter Führung des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki wandten sich daraufhin mit einem Brief an den Vatikan. Sie bezweifeln, ob eine nationale Bischofskonferenz über die Frage des Kommunionempfangs konfessionsverschiedener Ehepartner entscheiden darf. Papst Franziskus forderte die deutschen Bischöfe daraufhin zunächst auf, "im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu finden".