Theologe: Viele Gottesdienste wirken wie Imitation der "Tagesthemen"

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Gottesdienste sind "wie eine schlechte Imitation der 'Tagesthemen'", oder aber so banal, dass man glaube, in einen "Kindergottesdienst für Große" zu sitzen, so Benjamin Hasselhorn.
Theologe: Viele Gottesdienste wirken wie Imitation der "Tagesthemen"
Der evangelische Theologe und Historiker Benjamin Hasselhorn begrüßt die aktuelle Debatte um politische Predigten. Endlich komme Bewegung in die "Grabesruhe" der evangelischen Kirche in Deutschland, schreibt er in einem Gastbeitrag für das "Rotary Magazin" (April).

"Endlich kommt mal die eine oder andere Rückmeldung aus dem steuerzahlenden Kirchenvolk, das viel zu lange nur mit stummem Kopfschütteln dem Treiben seiner Hirten zugesehen hat und das über die politisierenden Hochglanzprojekte zum Reformationsjubiläum mit den Füßen abstimmte", schreibt der evangelische Theologe und Historiker Benjamin Hasselhorn in der Aprilausgabe des "Rotary Magazin".

Gottesdienste sind nach Ansicht Hasselhorns entweder so politisiert, dass sie "wie eine schlechte Imitation der 'Tagesthemen'" wirkten, oder aber so banal, dass man glaube, in einen "Kindergottesdienst für Große" geraten zu sein. In dieser Situation sei die Kritik an der Politisierung der evangelischen Kirche ein Gesprächsangebot an kirchliche Funktionsträger. "Es lautet: Leute, redet endlich über den christlichen Glauben!" Die Kirche sollte sich mit Glaubensfragen statt mit Politik beschäftigen, so der Ratschlag des Theologen.

Besonders kritisch sieht Hasselhorn, wenn andere Meinungen abgewertet werden und die Politisierung zudem auf Lerneffekte aus Zeiten des Nationalsozialismus zurückgeführt wird: "Entschuldigung, aber seit wann ist es ein Zeichen des Widerstands, die Politik der Regierung zu vertreten und dasselbe zu sagen, was gefühlte 90 Prozent aller Zeitungen und Fernsehsender propagieren und 80 Prozent aller Parteien?"

 

Der evangelische Theologe und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) habe sein Leben eingesetzt, um sich einem verbrecherischen Staat entgegenzustellen, erklärte der zweifach promovierte Geisteswissenschaftler. "Wie zynisch muss man sein, Bonhoeffers Erbe zu reklamieren und dann alles zu tun, um jede denkbare Opposition zum Regierungskurs als moralisch verwerflich zu diskreditieren?" Hasselhorn ist seit 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und Kurator der Nationalen Sonderausstellung 2017 zum Reformationsjubiläum in Wittenberg.