Die Entscheidung der Essener Tafel, nicht mehr nur auf die Bedürftigkeit, sondern auch auf den Pass zu sehen, ist aus Hilflosigkeit geboren. Sie erntet allerorten Kritik. Letztes Wochenende hat sich neben dem nordrhein-westfälischen Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) auch Bundessozialministerin Katharina Barley (SPD) in die Debatte eingemischt, am gestrigen Dienstag sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie alle fordern, die Essener Tafel solle Bedürftigen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit helfen.
Vom Gebot der Nächstenliebe aus betrachtet, mag die Kritik angemessen sein. Dass sie von Seiten der Landes- und Bundesregierung geäußert wird, ist jedoch übergriffig. Tafeln sind keine sozial-staatlichen Einrichtungen, sondern Initiativen der freien Wohlfahrtspflege. Sie wollen verhindern, dass überschüssige Lebensmittel weggeworfen werden, und leiten sie darum an Bedürftige weiter. Das geschieht auf Grundlage ehrenamtlichen Engagements und ist mit viel auch körperlich anstrengender Arbeit verbunden.
Dass in den letzten Jahren zahlreiche neue Tafeln eröffnet wurden, zeigt dreierlei: es bleiben mehr Lebensmittel in den Supermärkten übrig, die Zahl der bedürftigen Menschen steigt und noch mehr Menschen sind bereit, sich für die Bewältigung von Missständen zu engagieren. Tafeln bewirken Gutes. Sie helfen den Einzelnen: Bedürftigen helfen sie über die Runden zu kommen. Marktleiterinnen und Marktleitern geben sie das Gefühl, beim Aussortieren von einwandfreien Lebensmitteln etwas Gutes zu tun.
So nehmen sie ein bisschen Druck aus dem Kessel, in dem Überfluss und Not aufeinandertreffen. Auf diese Weise erleichtern sie es allerdings der Politik, soziale Probleme weiter vor sich her zu schieben. Tafeln verfestigen ungewollt problematische Strukturen. Weil sie Not lindern, unterstützen sie indirekt eine Politik, die diejenigen vernachlässigt, die am Existenzminimum leben.
Dass die Politik der Länder und des Bundes mit dieser Unterstützung der Tafeln rechnet, ja dass der Staat sie offensichtlich in die Kalkulation der Sozialleistungen selbstverständlich miteinbezogen hat, entlarven die Stellungnahmen von Politikern in diesem Fall. Hier liegt der eigentliche Skandal, nicht in der fragwürdigen Entscheidung der Essener Tafel. Die parteiübergreifend praktizierte Sozialpolitik muss öffentlich diskutiert werden. Sie darf sozialstaatliche Aufgaben nicht immer weiter ins ehrenamtlichen Engagement abschieben.