Das "Fuller Theological Seminary" im kalifornischen Pasadena ist eine einflussreiche evangelikale Einrichtung in den USA. Wer hier studiert, soll die Welt verändern. Doch Fuller-Präsident Mark Labberton hat in seinem Buch "Still Evangelical?" ("Noch evangelikal?"), erschienen Ende Januar, eine ernüchternde Bilanz gezogen: Das evangelikale Christentum sei bei der Präsidentschaftswahl auseinandergebrochen, schreibt Labberton. Damit bringt er die jüngsten Entwicklungen in den USA auf den Punkt. Dort ist eine Debatte darüber entbrannt, wie politisch die Bezeichnung "evangelikal" eigentlich ist.
Evangelikale Christen, genauer: weiße evangelikale Christen, stehen mehrheitlich aufseiten von US-Präsident Donald Trump. Seine Hetze gegen Fremde ändert nichts an dem Zuspruch, den er bei ihnen findet - obwohl man Fremde laut Bibel schützen soll. Nun denken einige Theologen und Pastoren öffentlich darüber nach, ob sie sich selbst noch als "evangelikal" betrachten wollen. Oder ob der Begriff als Selbstbezeichnung ausgedient habe.
Das ist auch Labbertons Thema. Viele Gläubige wüssten nicht mehr, ob sie "zu den Evangelikalen gehören wollen oder nicht", schreibt er. Der Tag der Wahl sei eine Zäsur gewesen. 80 Prozent der weißen evangelikalen Wähler hatten Trump ihm Stimme gegeben. ''Doch dieser Tag, der für manche Evangelikale ein Tag der Hoffnung war, bedeutete für andere die Apokalypse", fasst Labberton zusammen. Mit Letztgenannten meint er die Minderheit der linken Evangelikalen, die schockiert waren über die Stimmen ihrer Glaubensbrüder und -schwestern für Trump. Vor allem aber meint er schwarze und Latino-Evangelikale. Sie hatten mit großer Mehrheit für die Demokratin Hillary Clinton gestimmt.
"Christianity Today", seit Jahrzehnten das evangelikale Magazin in den USA schlechthin, macht sich ebenfalls Gedanken. Viele evangelikale Führungspersönlichkeiten seien so frustriert über die Entwicklungen, dass sie den Versuch aufgäben, die Bezeichnung "evangelikal" für sich zurückzugewinnen, hieß es im Dezember in einem Leitartikel. Der Stein des Anstoßes: In der übrigen Gesellschaft wird evangelikal häufig mit einer Position des rechten politischen Spektrums gleichgesetzt - und nicht mit protestantischen Christen, denen die Bibel Maßstab ist.
Weiße Evangelikale in den USA tendieren seit langem zu konservativen Positionen. Sie treten für "traditionelle Werte" ein. Kandidat Donald Trump hat ihnen offenbar aus der Seele gesprochen mit seinem Versprechen, Amerika zu seiner alten Größe zurückzuführen. Dafür nehmen sie vieles hin. Franklin Graham etwa, Baptistenprediger aus North Carolina und Sohn des Evangelisten Billy Graham, verteidigte Trump unlängst gegen Medienberichte, wonach der Präsident eine Porno-Schauspielerin 2016 mit 130.000 Dollar zum Schweigen über ihre Sex-Beziehung brachte.
"Wir sehen ihn nicht als den Pastor der Nation an", sagte Graham kürzlich dem Kabelsender MSNBC. Er begrüße es jedoch durchaus, dass der Präsident sich um "christliche Werte" kümmere und die Religionsfreiheit schütze. Außerdem wisse man nicht, ob die Vorwürfe überhaupt stimmten. Das Weiße Haus hatte die Beschuldigungen zurückgewiesen.
Der baptistische Megakirchenpastor Robert Jeffress aus Texas ist einer der bekanntesten evangelikalen Fürsprecher Trumps. In der Geschichte der USA sei Trump derjenige Präsident, der am stärksten für den Lebensschutz, für die Religionsfreiheit und für Israel eintrete, lobte Jeffress kürzlich.
Der Evangelikale Ralph Reed, der der konservativen "Koalition für Glauben und Freiheit" vorsitzt, bemühte sich um einen heiteren Ton in dieser Debatte. Der Tageszeitung "USA Today" sagte er, Gott müsse "Humor haben", denn nur wenige Menschen hätten vorhergesehen, dass so jemand wie Donald Trump zu einem "großen Fürsprecher evangelikaler Anliegen" würde.
Auch "Christianity Today" jedenfalls hat auf die Frage, ob "evangelikal" denn nun als Bezeichnung ausgedient habe oder nicht, keine Antwort parat. Es sei jedoch vollkommen in Ordnung, sich einfach als Baptist, als Christ, als Wiedergeborener oder Bibelgläubiger zu bezeichnen, hieß es.