Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland nach Erkenntnissen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) seit rund 20 Jahren auseinander. Wie aus dem am Dienstag in Berlin veröffentlichten DIW-Wochenbericht hervorgeht, wuchs der Anteil der Spitzeneinkommen am Volkseinkommen seit 1995, während dieser Anteil bei den unteren Einkommensgruppen sank.
Die DIW-Ökonomin Charlotte Bartels untersuchte die Einkommensverteilung im Rahmen des World Inequality Reports auf Basis von Einkommensteuerdaten über einen Zeitraum von rund 140 Jahren - von der Gründung des Deutschen Reichs 1871 bis zum Jahr 2013. Der Anteil des obersten Prozentes aller Einkommen am Volkseinkommen ist demnach von 1995 bis 2013 von acht auf 13 Prozent gewachsen. Die Spitzenverdiener lebten heute hauptsächlich in Westdeutschland. Der Einkommensanteil der obersten zehn Prozent erhöhte sich zudem von 32 auf 40 Prozent. Bei den unteren 50 Prozent wiederum sank dieser von 26 Prozent im Jahr 1995 auf knapp 17 Prozent im Jahr 2013.
Bartels kommt zum Schluss, dass "Unternehmenseinkommen immer zentral waren, um wirklich hohe Einkommen in Deutschland zu verdienen". Bereits seit den 1970er Jahren hätten Unternehmens- und Vermögenseinkommen gegenüber Lohneinkommen gesamtwirtschaftlich an Bedeutung gewonnen. Die Entwicklung Deutschlands zum Exportweltmeister legt nach Einschätzung des DIW nahe, dass "die Spitzenverdiener in Deutschland, die ihre Einkommen zum großen Teil aus Unternehmensbesitz beziehen, deutlich mehr vom wachsenden Außenhandel profitiert haben als die Angestellten". Hinzu kämen steuerliche Verbesserungen für Spitzenverdiener sowie der schrumpfende Einfluss von Gewerkschaften.
Vergleicht man hingegen die Entwicklung in einem Jahrhundert, so ist der Anteil der Spitzeneinkommen von 1913 bis 2013 von 18 auf 13 Prozent gesunken. Der Einkommensanteil der obersten zehn Prozent aber hat sich trotz Kriegen, deutscher Teilung und Wirtschaftskrisen kaum verändert. Er lag demnach sowohl 1913 als auch 2013 bei rund 40 Prozent des Volkseinkommens.
Menschen mit niedrigem Einkommen litten verstärkt unter Faktoren wie etwa Ölkrisen, Massenarbeitslosigkeit oder dem Ausbau des Niedriglohnsektors. Aus den erhobenen Daten geht den Angaben nach nicht hervor, inwieweit staatliche Transferleistungen und das progressive Steuersystem sich auf die Einkommensunterschiede auswirken. Das DIW weist außerdem darauf hin, dass wegen des langen Zeitraums mit den vielen Umwälzungen jeweils unterschiedliche geografische Gebiete und Populationen untersucht wurden.