Die Erkenntnisse über den Täter, der als Gefährder eingestuft und mit mehreren Identitäten ausgestattet war, zwängen dazu, "die Sicherheitsarchitektur in unserem Land zu überdenken", sagte Lammert am Donnerstag im Parlament in Berlin. Die Abgeordneten gedachten der zwölf Todesopfer des LKW-Attentats vom 19. Dezember in einer Schweigeminute.
Zum Gedenken waren auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und viele Mitglieder ihres Kabinetts anwesend. Bundespräsident Joachim Gauck und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verfolgten die Ansprache von der Tribüne.
Diskussion nicht auf Kosten der Schwachen
Terrorismus ziele darauf ab, "demokratische Gesellschaften zu erschüttern, zu lähmen und zu destabilisieren", sagte Lammert. "Dieses Ziel haben die Terroristen in Deutschland nicht erreicht", ergänzte er. Die Bevölkerung habe eindrucksvoll besonnen reagiert. Dennoch verändere die Terrorgefahr zwangsläufig das Leben und es wachse das Sicherheitsbedürfnis. Der Staat müsse seine Handlungsfähigkeit beweisen.
Der Parlamentspräsident mahnte, dabei die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu wahren. "Freiheit braucht Sicherheit, wenn sie verlässlich sein soll, und Sicherheit braucht Freiheit, wenn sie nicht zur Repression verkommen soll", sagte er. Autoritäre Systeme, die sich die Illusion größeren Schutzes mit der Verweigerung unverzichtbarer Freiheitsrechte erkauften, seien nachweislich nicht sicherer, erklärte er und verwies auf die Anschlagsserie in der Türkei.
Lammert forderte mit Blick auf den Bundestagswahlkampf eine sachliche Debatte: "Es ist gerade die Stärke unserer herausgeforderten Demokratie, dass wir als Gesellschaft darum ringen, wie wir die schwierige Balance zwischen Sicherheitsanspruch und Freiheitsversprechen halten wollen." Diese Diskussion dürfe zudem nicht auf Kosten von Menschen erfolgen, "die ihrer Herkunft oder Religion wegen in Sippenhaft genommen werden für die terroristische Gewalt, vor der sie vielfach selbst geflohen sind".
Der Bundestagspräsident betonte, nicht der Islam, sondern der Fanatismus müssten bekämpft werden. Von den Muslimen dürfe und müsse aber eine Auseinandersetzung mit ihrer Religion sowie "dem verhängnisvollen Zusammenhang von Glaube und fanatischer Gewalt" mit Nachdruck eingefordert werden. Wo islamistisches Gedankengut verbreitet werde, müsse dies mit rechtsstaatlicher Härte bekämpft werden. Zudem müsse künftig konsequenter als bislang geprüft werden, "wer zu uns kommt und wer hier bleiben kann".
An die Angehörigen der Mordopfer des Anschlags gerichtet sagte Lammert: "Wir teilen Ihre tiefe Trauer." Zugleich erinnerte er an die Verletzten, die Augenzeugen und Hilfskräfte. Viele von ihnen würden noch lange kämpfen müssen, um körperlich wie seelisch wieder ins Leben zurückzufinden.