Am Mittwoch signalisierte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) seine Zustimmung zu dem Vorhaben der großen Koalition im Bundesrat und verknüpfte die Frage mit den Vorfällen an Silvester. "Die kriminelle Energie, die von Gruppierungen junger Männer aus diesen Staaten ausgeht, ist bedenklich und muss mit aller Konsequenz bekämpft werden", sagte er der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Mittwoch). Ob es auch die für das Gesetz notwendige Zustimmung anderer Bundesländer mit Regierungsbeteiligung der Grünen geben wird, ist aber fraglich.
Über die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten um Tunesien, Marokko und Algerien wird seit Monaten gestritten. Ein entsprechendes Gesetz hängt im Bundesrat fest, weil dort die elf von Grünen mitregierten Länder, inzwischen eine Mehrheit von 49 der 69 Stimmen auf sich vereinen. Die Partei steht dem Vorhaben prinzipiell ablehnend gegenüber. Um das Gesetz durch die Länderkammer zu bringen, müssten neben Baden-Württemberg mindestens drei, bei kleineren Ländern mit weniger Stimmen sogar vier weitere Landesregierungen mit Ja stimmen, an denen die Grünen beteiligt sind.
"Abschiebung löst nicht alle Probleme"
Schleswig-Holstein wird offenbar nicht dazu gehören. Ein Sprecher des dortigen Innenministeriums verwies auf Anfrage am Dienstag auf die bisherige Ablehnung des Landes. Die Verfolgung von Minderheiten und Randgruppen könne in Marokko, Tunesien und Algerien nicht hinreichend ausgeschlossen werden. Aus Sachsen-Anhalts Staatskanzlei hieß es, das Abstimmungsverhalten werde abgestimmt, sobald das Thema wieder auf die Tagesordnung des Bundesrats kommt. Die nächste Plenarsitzung ist am 10. Februar, die Tagesordnung noch nicht bekannt. Weitere von Grünen mitregierte Bundesländer äußerten sich bis Mittwochnachmittag nicht zu dem Vorhaben.
Bei der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten können Anträge von Asylsuchenden von dort im beschleunigten Verfahren behandelt und in aller Regel abgelehnt werden. Die Koalition erhofft sich dadurch schnellere Verfahren und Rückführungen abgelehnter Asylbewerber. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) hat daran Zweifel: Die Abschiebung setze die Aufnahmebereitschaft der Herkunftsstaaten voraus. Daran hapere es aber bei den Maghreb-Staaten.
Verwaltungsrichter sprachen sich dagegen für die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer aus. "Wir rechnen bundesweit für das gesamte Jahr 2016 mit einer Verdoppelung der Asylverfahren", sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, der "Rheinischen Post" (Mittwoch). Der Gesetzgeber müsse bestehende Spielräume ausschöpfen, um die Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die Benennung weiterer sicherer Herkunftsstaaten könne helfen.
Unterdessen äußerte sich die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), skeptisch zu Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan. Afghanistan sei ein schwieriges Land. Über Abschiebung dorthin müsse noch einmal geredet werden, "auch weil bei vielen Bundesländern noch erhebliche Bedenken bestehen", sagte sie der "Saarbrücker Zeitung" (Mittwoch). Es gebe in dem Land am Hindukusch zweifellos Krieg und Terror, daher könnten nicht alle geduldeten Afghanen abgeschoben werden. Mitte Dezember waren 34 Afghanen per Sammelabschiebung von Frankfurt am Main nach Kabul geflogen worden.
Der evangelische Migrationsexperte Manfred Rekowski appellierte vor dem Hintergrund der Debatte um eine härtere Abschiebepraxis, bei allen Maßnahmen die Menschenrechte zu achten. Das individuelle Recht auf Asyl dürfe nicht verkürzt werden, sagte der Vorsitzende der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der rheinische Präses warnte zudem vor der Illusion, "mit mehr Abschiebungen würden alle Probleme gelöst".