"Das Projekt Inklusion ist massiv unterfinanziert und gedanklich nicht ausgereift", sagte der Sozialethiker dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Düsseldorf. Er wirft der Politik einen "verkürzten Inklusionsbegriff" vor. In der aktuellen Diskussion sei damit die Integration von Menschen mit Behinderungen in das Regelschulsystem oder in den allgemeinen Arbeitsmarkt gemeint.
Inklusion kann nach Beckers Auffassung jedoch weder im leistungszentrierten Schulsystem noch in einem konkurrenzorientierten Arbeitsmarkt wirklich funktionieren. Es gehe nicht um eine Einbindung in bestehende Systeme, sondern um eine Veränderung der Systeme: "Wenn wir uns von behinderten Menschen sagen lassen, was sich in der Gesellschaft ändern muss, wird das allen zugutekommen", ist der Vorstand überzeugt. Die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft, die weniger auf Leistung setzt und wegkommt von der Zentrierung auf Arbeit, komme allen zugute.
Im Bildungssystem bedeute das etwa, die leistungsorientierte Logik zu ändern und stärker zu einer personenzentrierten Pädagogik zu kommen, erläuterte Becker. Das beziehe sich nicht nur auf die Schüler mit Behinderungen, sondern auf alle Kinder und Jugendlichen. "Die pädagogische Herausforderung betrifft die Gruppe, die Lernfähigkeit der anderen und die Erweiterung der sozialen Kompetenz." Dazu seien unter anderem kleinere Klassen, mehr Lehrpersonal und multiprofessionelle Teams notwendig, soziale Kompetenz müsste in die Lehrpläne aufgenommen werden.
"Inklusion ist ein kostbares Projekt und kostet auch Geld", unterstrich der Honorarprofessor der Evangelischen Fachhochschule Bochum die Bedeutung einer ausreichenden Ressourcenausstattung. Zur Finanzierung dürften ein höherer Spitzensteuersatz, eine Vermögenssteuer und Abgaben auf Finanzgewinne keine Tabus sein, sagte Becker, der zum Thema das Buch "Die Inklusionslüge. Behinderung im flexiblen Kapitalismus" veröffentlicht hat.
Buchhinweis:
Uwe Becker, Die Inklusionslüge - Behinderung im flexiblen Kapitalismus, transcript Verlag Bielefeld 2015, 190 Seiten, ISBN 978-3-8376-3056-5, 19,99 Euro