Führende Politiker aus Bundestag und Bundesregierung haben sich hinter das Kirchenasyl gestellt. Wenn es als Ausnahme praktiziert werde, "ist es tolerabel und im Einzelfall auch vernünftig", erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte, dass die Kirchen in Einzelfällen Schutz gewährten, sei "eine christliche Tugend".
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zeigte sich erfreut über den jüngsten Kompromiss zwischen Kirchen und Behörden. Beide Seiten hatten sich in der vergangenen Woche nach einem heftigen Streit über das Kirchenasyl auf neue Regelungen verständigt. Die Kirchen sollen in einem sechsmonatigen Pilotprojekt Fälle, die in einem Kirchenasyl münden könnten, vom Migrations-Bundesamt überprüfen lassen. Das Amt verzichtet im Gegenzug darauf, die Abschiebefrist für die besonders umstrittenen Dublin-Fälle zu verlängern.
Keine Alternative gegen das Recht, sondern humanitärer Beistand
Bedford-Strohm schrieb auf seiner Facebook-Seite, die Kirchen hätten noch einmal klargestellt, "dass das Kirchenasyl nie ein zweiter Rechtsweg sein kann". Es sei vielmehr Ausdruck eines christlich motivierten humanitären Beistands, "wenn befürchtet wird, dass einem Menschen bei seiner Abschiebung Menschenrechtsverletzungen oder unzumutbare Härten drohen." Dass dieser Impuls nun auch von staatlicher Seite gewürdigt werde, sei gut.
Lammert warnte in der "Welt" die Kirchen vor der Versuchung, "aus einem Ausnahmetatbestand eine heimliche Regel zu machen". Es gebe kein Kirchenasyl anstelle des geltenden Rechts. Maas sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", die Debatte solle "ohne jede Schärfe" geführt werden. Er habe keine Hinweise, dass Kirchengemeinden Flüchtlinge systematisch dem staatlichen Verfahren entzögen. Klar müsse sein, dass das Rechtsmonopol beim Staat liege und nicht bei den Kirchen.
Die Zahl der Menschen im Kirchenasyl war in den vergangenen Monaten dramatisch gestiegen. Gegenwärtig befinden sich mindestens 411 Flüchtlinge in der Obhut evangelischer und katholischer Gemeinden. Die meisten von ihnen fallen unter die sogenannte Dublin-Regelung. Das bedeutet, dass sie über ein anderes EU-Land eingereist sind und eigentlich dort Asyl beantragen müssten. Die Behörden wollten die Abschiebefrist von sechs auf 18 Monate anheben. Dies hätte die Bedingungen für das Kirchenasyl stark erschwert.
Nordkirche fasst Beschluss gegen Dublin-II-Regelung
Bedford-Strohm zeigte sich dankbar, dass die drohende Fristverlängerung "nun jedenfalls vorerst aufgeschoben worden ist". Er sei zuversichtlich, dass der Umgang mit dem Mittel des Kirchenasyls in den Gemeinden dazu führen werde, dass die jetzt gefundene Regelung Bestand habe, erklärte der bayerische Landesbischof. Kirchengemeinden im Freistaat beherbergen rund 180 der gegenwärtig 411 Menschen im Kirchenasyl.
Die evangelische Nordkirche sprach sich für eine grundlegend neue Flüchtlingspolitik aus. Menschen würden durch die Dublin-Regelung "wie Stückgut in Europa hin und her geschoben", heißt es in einer am Wochenende in Travemünde beschlossenen Erklärung der Kirchensynode. Die Verordnung führe zu Familientrennungen, Obdachlosigkeit und Inhaftierungen. Einige EU-Länder würden Flüchtlinge nicht menschenwürdig behandeln.