Der Landesvater mit der Laienstola

Der Landesvater mit der Laienstola

Winfried Kretschmann kommt etwas spät zu seiner Bibelarbeit am Samstagvormittag, da die Deutsche Bahn mal wieder Verspätung hat. Aber als er da ist, hat er die Herzen der Zuhörer im Sturm erobert. "Ich bin kein Theologe, sondern ein Laie", sagt der baden-württembergische Ministerpräsident und ergänzt mit Blick auf den blauen Kirchentagsschal: "Ich habe auch nur eine Laienstola um." Seine Schriftauslegung möge man bitte entsprechend einordnen.

Der Bibeltext des Tages ist eine sehr bekannte Geschichte – die Speisung der 5.000 durch Jesus. „Solche Wunder sind für uns sperrig und irgendwie auch anstößig“, so Kretschmann. Leicht würden sie als vormodern abgetan oder spirituell umgedeutet. Das Wesen des Wunders leitet der grüne Landesvater von Hannah Arendt her: Auch der Rahmen der realen Existenz beruhe auf einem Wunder, jeder Mensch sei begabt, sie zu tun.

Nachdenklich: Winifried Kretschmann (Mitte) nach seiner Bibelarbeit. Rechts im Bild Andreas Barner, Mitglied im Präsidium des Kirchentages. Foto: Bernd Buchner

So deutet der Katholik Kretschmann denn auch den Sinn von Politik: Zwar könne die scheinbare Ausweglosigkeit einer Situation den Wunderglauben stärken. Doch dies wiederum schärfe den Sinn dafür, etwas in Gang zu bringen, anzustoßen und zu wagen. Der Grünen-Politiker bleibt hier nicht im Ungefähren, nennt das Ende der DDR-Herrschaft oder den beschlossenen Ausstieg aus der Atomindustrie.

Vehement wehrt sich der Landeschef aus dem Südwesten denn auch gegen die Rede von „Sachzwängen“ und „Alternativlosigkeit“ – ein kleiner Seitenhieb gegen Kanzlerin Merkel, die gerne mit diesen Kategorien operiert. „Der eigentliche Charme der Demokratie ist, dass es stets Alternativen gibt“, ruft Kretschmann den Kirchentagsbesuchern zu. „Wir müssen unseren eigenen Ideen trauen und den Mut haben, Dinge anzufangen.“ In einer „Zuschauerdemokratie“ ließen sich Probleme nicht lösen.

Dass am Ende der Speisung durch Jesus noch zwölf Körbe Brot übrig bleiben, sieht Kretschmann als Zeichen für die weltumspannende Wirkung des christlichen Glaubens: „Das Evangelium richtet sich an alle.“ Am Ende findet der Ministerpräsident sogar noch Zeit für ein politisches Plädoyer zu Gunsten des freien Sonntags. Er sei nicht dafür da, damit die Christen ihren Kult feierten: „Der Sonntagsschutz ist ein Geschenk der Gläubigen an die gesamte Gesellschaft.“ Bei den Kirchentagsbesuchern rennt er damit offene Türen ein.

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