epd: Was haben Sie in ihrer Zeit als Pfarrer und später als Superintendent in Trier für die Arbeit in der Kirchenleitung gelernt?
Pistorius: Ich durfte im sozialen Brennpunkt in einer Plattenbausiedlung in Saarbrücken arbeiten. Das hat mir sehr geholfen, wahrzunehmen, mit welchen Spannungen und Polaritäten wir in unserer Kirche leben und umgehen können müssen. Das war für mich sehr prägend. Danach, im Gemeindepfarramt und als Superintendent haben mich unter anderem die Ökumene am Bischofssitz Trier und auch die Seelsorge geprägt. Das ist meine Leidenschaft bis heute. Deshalb habe ich mich fast 20 Jahre in der Notfallseelsorge engagiert und war Seelsorger in der Bundeswehr. In diesen Feldern geht es darum, Menschen wahrzunehmen, sie zu begleiten, zuzuhören und hinzusehen. Das sind Fähigkeiten, die in der Kirchenleitung einer Landeskirche durchaus hilfreich sind.
Im Kirchenkreis Trier habe ich auch gelernt, Unterschiede zu managen: Zwischen der Eifel-Diaspora und kleinteiligen protestantischen Strukturen im Hunsrück gehört auch die Großstadt Trier dazu. Die Arbeit mit solchen Kontrasten war nützlich, denn auch die rheinische Landeskirche ist sehr vielfältig. Sie erstreckt sich räumlich über vier Bundesländer. Und man muss die Menschen mit ihren Unterschieden ernst nehmen, wenn man sich in der Kirchenleitung darum bemüht, die Zukunft zu gestalten. Das Miteinander mit all den Unterschieden auszuhalten, im Gespräch zu bleiben und dann tatsächlich eine unierte Kirche zu gestalten, in der theologisch unterschiedliche Positionen ihren Platz und ihren Raum haben und in einen Diskurs münden: Das finde ich an der rheinischen Kirche phänomenal.
Sie haben gesellschaftliche Spannungen erwähnt. Viele Menschen nehmen die aktuelle Zeit als besonders polarisiert wahr. Fällt es Ihnen schwer, gerade jetzt auszuscheiden?
Pistorius: Die gesellschaftlichen Spannungen sind eine große Herausforderung und es sieht nicht so aus, als hätte die Bundestagswahl diese Probleme gelöst. Das Misstrauen der Bevölkerung in den Staat und das Unvermögen, miteinander in konstruktiven Auseinandersetzungen an Lösungen zu arbeiten, besorgt mich und beides könnte in den kommenden Jahren weiter angefacht werden. Ich verspüre da eine Verantwortung für meine Kinder und Enkelkinder. Aber ich weiß noch nicht, wie ich diese später noch wahrnehmen kann. Als Kirchenleitungsmitglied hat man auch nicht unbegrenzt Möglichkeiten zu gestalten, aber ein bisschen mehr Möglichkeiten hätte ich da gerne noch genutzt.
Gibt es Dinge, auf die Sie besonders stolz sind, wenn Sie auf die zwölf Jahre in der Kirchenleitung zurückblicken?
Pistorius: Die Synode 2013, auf der ich gewählt wurde, war geprägt von der Auseinandersetzung über die bbz-Angelegenheit. Das Beihilfe- und Bezüge-Zentrum, kurz bbz, war zuvor durch seine Geldanlagen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Der Umgang damit hat zu einer tiefen Vertrauenskrise zwischen Synode und der Kirchenleitung geführt. Und ich bin richtig stolz darauf, dass es uns gelungen ist, danach das Vertrauen der Synode zurückzugewinnen. Vertrauen ist ein fragiles Gut. Aber es ist gelungen, wieder eine gute Streit- und Diskurskultur herzustellen.
Es gab auch ein beschädigtes Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeitenden unserer Kirche und ihrer Kirchenleitung. Das hatte auch zu tun mit einer "sehr oberflächlich" gestalteten Personalpolitik: Sie hat erst relativ spät angefangen, darüber nachzudenken, wie man in einem komplexen System mit damals noch über 700 Körperschaften Personalsteuerung, Personalentwicklung, Personalakquise gestaltet. Dass es jetzt ein gutes Verhältnis zur Pfarrvertretung gibt, darauf bin ich auch stolz. Wenn man als ausscheidender Personaler von der Pfarrvertretung im Jahresbericht gelobt wird, dann war das Tun wohl nicht so ganz verkehrt.
Und was hätten Sie gerne anders gemacht?
Pistorius: Es ist uns überhaupt nicht gelungen, die Beteiligung an der Wahl der Presbyterien in der Fläche der Landeskirche zu erhöhen. Auch nicht mit dem Ansatz der Online-Wahl. Und wenn ich sehe, wie mühsam es in manchen Gemeinden gewesen ist, überhaupt Menschen dafür zu begeistern, sich in die Leitung ihrer Kirchengemeinde hineinzubegeben, dann glaube ich, ist uns da was nicht gelungen. Und das hat sicher auch damit zu tun, dass wir es auch nicht geschafft haben, die Belastungen für Ehrenamtliche in der Leitung unserer Kirche in Grenzen zu halten. Man kann eigentlich sagen, nach jeder Landessynode haben Ehrenamtliche neue Aufgaben auf den Tisch bekommen.
Ich bedauere es, dass wir nicht mehr Energie darauf verwendet haben, darüber nachzudenken, wie man es diesen Menschen leichter machen kann. Sie sollten sich auf das konzentrieren können, wofür sie brennen: die Weitergabe des Evangeliums und die Gestaltung der Arbeit innerhalb ihrer Gemeinde.
"Auf EKD-Ebene meinte eine Zeit lang jeder, er müsse bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt etwas Eigenständiges machen"
Sie haben sich ja in den vergangenen Jahren besonders dem Thema sexualisierte Gewalt verschrieben. Wo steht die Kirche da aktuell?
Pistorius: Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir uns mit allen anderen Gliedkirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) darauf festgelegt haben zu sagen: Was aus dem Beteiligungsforum kommt, in dem Vertreterinnen und Vertreter von Betroffenen und Kirche über den Umgang mit sexualisierter Gewalt beraten, setzen wir um. Punkt. Damit haben wir viele Diskussionen abgekürzt, die sich aus meiner Sicht einfach verbieten.
An welche Diskussionen denken Sie dabei?
Pistorius: Auf EKD-Ebene meinte eine Zeit lang jeder, er müsse bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt etwas Eigenständiges machen. Wenn man dann von draußen draufschaut, wirkt das durchaus willkürlich. Warum macht die eine Landeskirche es so und die andere so? Da jetzt zu sagen, das diskutieren wir nicht mehr, alle Landeskirchen übernehmen die Dinge, die im Beteiligungsforum verabredet werden, finde ich sehr hilfreich. Denn diese Diskussionen haben Zeit gekostet, Kräfte gebunden und natürlich auch den Eindruck erweckt, als hätte es was zu tun mit der Motivation oder der Bereitschaft zur Aufarbeitung.
Und wo steht die rheinische Kirche zum Ende Ihrer Amtszeit?
Pistorius: Wir haben die Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission für den Verbund West vorbereitet. Staatsanwält:innen haben unsere rheinischen Fälle alle nach einem einheitlichen Schema noch mal aufgedröselt - also gesichtet, beschrieben und fachlich eingeordnet - damit die Kommission direkt einsteigen und arbeiten kann. Mit dem Kirchenkreis Wuppertal erproben wir die Aufarbeitung von Akten aus Kirchenkreisen und Kirchengemeinden, was ja komplexer ist als die eigenen Akten hier im Landeskirchenamt aufzubereiten. Das braucht Ressourcen und die müssen wir für dieses wichtige Thema aufwenden - auch in einer Zeit, in der es finanziell eher bergab geht. Insgesamt bin ich jetzt an dem Punkt, an dem ich sage, das ist inzwischen gut aufgestellt und ich kann das loslassen.
Gibt es noch Themen und Aufgaben, die Sie weniger gut loslassen können?
Pistorius: Ja, das sind die Kontakte mit betroffenen Personen. Es erfüllt mich mit Dankbarkeit und Demut, dass Menschen, die in Kirche oder Diakonie sexualisierte Gewalt erfahren haben, überhaupt noch mit einem Repräsentanten von Kirche in ein offenes Gespräch gehen und auch bereit sind, sich einzubringen. Da sind Begegnungen und Vertrauensverhältnisse entstanden, für die ich überaus dankbar bin. Und das jetzt loszulassen, ist nicht so ganz einfach. Aber es muss sein, denn hier geht es darum, dass die Institution sich weiter darum kümmert und das wird auch gewährleistet sein.
Was planen Sie für den Ruhestand?
Pistorius: Ich habe jede Menge interessante Angebote bekommen. Aber ich habe mir selbst verordnet, dass ich erst mal Abstand nehme. Ich möchte durchatmen und mich auf Menschen fokussieren, die in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen sind: meine Kinder, Enkelkinder und natürlich meine Frau. Ich habe in den vergangenen Jahren auch eigene Hobbys hinten angestellt. Dazu gehört die Musik, zum Beispiel Saxofon spielen oder zu Konzerten gehen, aber auch der Sport. Und dann schauen wir, was kommt. Das Schöne ist ja, ich bleibe Pfarrer und kann selbst entscheiden, wann ich mich wo und wie einbringe. Die rheinische Kirche steht vor immensen Herausforderungen. Da bin ich zuversichtlich und auch gespannt, wie es mir gelingt, das gelassen und fürbittend zu begleiten.