„Passagiere des Fluges LX977 nach Zürich werden gebeten, sich am Gate einzufinden. Das Boarding beginnt“, hallt eine Lautsprecherstimme durch die Wartehalle des Flughafens. Mein Herz schlägt schnell. Wieder und wieder sehe ich nach, ob ich den Boardingpass auch wirklich bei mir habe, ob die Flugnummer stimmt, ich am richtigen Gate stehe. Es ist keinesfalls das erste Mal, dass ich in ein Flugzeug steige und doch bin ich immer ein wenig aufgeregt. Vielleicht fürchte ich mich sogar ein bisschen vorm Fliegen. Dabei habe ich keine Angst, dass wir abstürzen könnten, es ist viel eher die Angst vor dem Nicht-Aussteigen-Können. Nicht mal eine Notbremse gibt es. Wenn ich einmal meinen Platz eingenommen habe, der Sicherheitsgurt ein klickendes Geräusch gemacht hat und die Türen geschlossen sind, gibt es kein Zurück mehr. Für die Dauer des Fluges lege ich mein Leben in andere Hände, bin ausgesetzt allen möglichen Turbulenzen. Und obwohl natürlich auch mein Kopf Sätze kennt wie: „Fliegen ist die sicherste Fortbewegungsmethode“, und „Du könntest viel eher bei einem Autounfall ums Leben kommen“, habe ich schweißnasse Hände. Weil ich die Kontrolle abgeben muss. Vertrauen muss, dass alles gut geht. Ganz ohne mein Zutun. Und mir fällt auf: Das tue ich nicht besonders oft. Ich bin am liebsten selbstständig, Herrin der Lage, Schmiedin meines Glückes. Aber ein Flugzeug von Berlin nach Zürich zu fliegen, das kann ich nicht selber. Da muss ich vertrauen. Mich fallen lassen – jedenfalls gedanklich.
Als das Flugzeug langsam auf die Startbahn rollt, die Aufforderung, die Sicherheitsgurte zu schließen grün aufleuchtet und auch die Stewardessen ihre Plätze einnehmen, zwinge ich mich, die Ruhe zu bewahren, langsam ein- und auszuatmen. Jetzt ist der Moment da: Es gibt kein Zurück mehr.Erst will ich lesen, um mich ein wenig abzulenken, doch die Zeilen tanzen vor meinen Augen, ich lese immer nur den gleichen Satz. Schließlich lege ich das Buch weg und setze stattdessen die Kopfhörer meines iPods auf. Doch noch während ich nach einem beruhigenden Track suche, wird der Flugzeugmotor plötzlich lauter. Der Boden beginnt zu wackeln, ich werde von der Geschwindigkeit in den Sitz gedrückt. Und dann, nach nur wenigen Sekunden heben wir ab, fliegen beinah senkrecht in die Höhe, immer weiter und weiter, dem Himmel entgegen, während die Erde kleiner wird. Das ganze Flugzeug wackelt, es ist ein windiger Tag und ich höre mich selbst beten: „Bitte lass es keine Turbulenzen geben. Bitte nicht.“ Es dauert, bis wir die nötige Flughöhe erreicht haben, das Flugzeug endlich ruhig wird. Immer wieder sacken wir kurz nach unten. Jedes Mal halte ich die Luft an. Und vielleicht ist es wirklich nur Zufall, dass durch das Ruckeln des Flugzeuges die Shuffle-Funktion, die zufällige Wiedergabe meines iPods aktiviert wird und in meinen Ohren plötzlich Herman van Veen singt. Eigentlich Niederländer, singt er diesmal auf Französisch. Ein Lied, das ich seit Kindertagen kenne: Dieu est le vent, mon enfant. Gott ist der Wind, mein Kind. Ich traue meinen Ohren kaum. Tränen schießen mir in die Augen. Weil es in diesem Moment wohl keine bessere Zeile, keinen besseren Zuspruch geben könnte. Für das Kind in mir, das sich fürchtet. Dieu est le vent, mon enfant. Gott ist der Wind, mein Kind. Wir durchbrechen die Wolken. Die Sonne scheint. Der Wind bewegt das Flugzeug sacht. Meine Angst ist fort. Wir kommen sicher an.