Seit ein paar Monaten haben wir neue Nachbarn. Gleich gegenüber wohnen sie. Unsere Fenster spiegeln sich ineinander. Wie Augen. Nur eine kleine Terrasse und ein Gartenstückchen trennen unsere beiden Erdgeschosswohnungen voneinander. Wir teilen Hausnummer und Hinterhof. Mehr nicht. Weil wir glauben, einander fremd zu sein. Wir verstehen uns nicht. Wir sprechen eine andere Sprache als die Zugezogenen. Wenn wir uns im Hausflur begegnen, bleibt es bei einem kurzen Zunicken und einem gemurmelten „Hallo“. Dann gehen wir jeder wieder unserer eigenen Wege. Weil wir schüchtern sind und scheu. Weil wir glauben, nichts gemeinsam zu haben. Weil wir Grenzen kennen. Vor allem im Kopf.
„Wie denn anfangen?“, scheinen wir Erwachsenen uns noch zu fragen, da fängt der kleine Nachbarsjunge einfach an. Mit der Klingel an seinem Fahrrad. Ring-Ring, hallt es durch den Hinterhof, als ich gerade mein eigenes Fahrrad losschließe. Ich blicke auf, ihm in die Augen und klingle dann ebenfalls. Der Junge lacht und klingelt noch einmal. Ich lächle ihm zu. Als wir uns das nächste Mal begegnen, erkennt er mich und klingelt wieder. Es wird zu einem kleinen Ritual zwischen uns Zweien. Er spricht meine Sprache nicht und ich nicht die seine und doch: Ein Anfang ist gemacht.
Und dann, ein paar Wochen später, tritt der Vater des kleinen Jungen plötzlich näher an die Buchsbaumhecke heran, die unser Grundstück von ihrem trennt. Wir sitzen gerade auf der kleinen Terrasse, die zu unserer Wohnung gehört. Die Nachbarsfamilie grillt. In der Luft hängen Rauchschwaden und Worte einer fremden Sprache. Der Mann von Gegenüber lächelt breit und hält einen Teller in die Höhe, auf dem sechs in Alufolie eingewickelte Knollen liegen. „Kartoffeln“, sagt er und deutet an, uns den Teller überreichen zu wollen. Wir sind überrascht und dann sehr erfreut. Was für eine aufmerksame Geste. „Danke“, sagen wir. „Danke.“ Wir alle lächeln jetzt. Unsere Augen spiegeln sich ineinander. Und ich beschließe, dass ich das nächste Mal den Anfang machen will. Mit Klingel oder Kartoffel. Ganz egal. Weil ich neugierig bin: Was könnte aus diesem Anfang nicht noch alles werden?