Erntedanktagverwirrspiel

Erntedanktagverwirrspiel
Wann feiern wir jetzt eigentlich Erntedankfest? Ist es schon rum?

Erntedankfest! Ein großes Fest in vielen christlichen Gemeinden. Vielerorts werden die Altäre geschmückt mit diversen Erntedankgaben, vorzugsweise mit Kürbissen (schön groß) und Sonnenblumen (schön gelb und auch groß), manchmal aber auch mit Konservendosen und allem möglichen. Die Kindergärten ziehen geschlossen in die Kirche, führen Lieder oder Tänze auf. 

Doch wann feiern wir nun eigentlich dieses Fest? Die römisch-katholische Kirche legte den Termin schon 1972 auf den ersten Sonntag im Oktober, was allerdings lediglich eine Empfehlung darstellt. Offiziell „muss“ dieses Fest überhaupt nicht gefeiert werden – es gehört nicht zum offiziellen Festkreis.

Die evangelische Kirche machte es wiederum etwas komplizierter. Die alte Regelung, ausgerechnet aus der NS-Zeit, erfreut sich hier nach wie vor großer Beliebtheit. Ein Gesetz von 1934 legte den Termin auf den ersten Sonntag nach dem Michaelistag (29. September), dem Tag des Erzengels Michael. Das bedeutete in den meisten Fällen dann wie in der katholischen Kirche: Erster Sonntag im Oktober. Manchmal aber auch letzter Sonntag im September.

Das wäre eigentlich ganz leicht zu ändern gewesen, wäre nicht vielen Protestanten dieser Michaelistag ziemlich wichtig. Ob auch das noch daran liegt, dass dieser Tag in der alten Zeit ein bedeutender Einschnitt war? Beginn des zweiten Schulhalbjahres, als die Schuljahre noch von Ostern bis Ostern gingen. Zahltag für Pachten, ein traditioneller Tag für die Verdingung von Knechten und Mägden und und und.

Was auch immer dahinter stehen mag: Viele Protestanten wollten nicht so recht auf die Verknüpfung von Michaelistag und Erntedankfest verzichten. Sicher nicht wegen der Herkunft dieser Verknüpfung aus der NS-Zeit. Vielleicht aber, weil es dem Michaelistag doch eine gewisse Bedeutung verschaffte.

Ziemlich genial ist nun der Kompromiss, den die EKD schon vor vielen Jahren fand: Erntedankfest ist nun immer am Sonntag nach Michaelis, außer, wenn Michaelis an einem Samstag ist. Wenn Sie das genau nachrechnen, bedeutet das … ähm … nun ja: Genau das gleiche wie „erster Sonntag im Oktober“. Und trotzdem ist der Bezug zum Michaelisfest gewahrt. Auf so was muss man erst mal kommen.

Typisch evangelisch, hält sich aber ein Großteil der Gemeinden auch nicht dran. Bei uns jedenfalls fanden die traditionellen Umzüge schon am vergangenen Sonntag statt. Auf Facebook las ich von einer Gemeinde, die dieses Fest heute, am Tag der Deutschen Einheit, feierte. Andere Gemeinden sind dann nächste Woche dran, oder auch übernächste – oder, wie die Moselgemeinden, erst im November nach der Weinlese.

Wie auch immer: Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass wir über die Erde nicht allein verfügen können. Dass wir dankbar sein können für alles, was uns geschenkt wird. Und dass unser Wohlstand auch eine Verpflichtung für uns ist, dafür zu sorgen, dass allen Menschen geholfen wird. An welchem Sonntag wir darüber nachdenken, ist eigentlich egal. Am besten an jedem Sonntag. Ein frohes Erntedankfest!

weitere Blogs

Altar mit dekoriert in Regenbogen-Farben
Für diesen Blogbeitrag habe ich ein Interview mit Lol aus Mainz geführt. Lol ist christlich, gläubig und non-binär. Nicht für alle christlichen Kreise passt das gut zusammen.
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Heute: mein Glaube in diesem November
Martinstag ist ein schöner Feiertag: die bunten Lichter im Novembergrau, die Martinsmänner, die Geschichte vom geteilten Mantel.... aber man kann noch viel mehr tun, als dieser Bischof von Tours.