Vergiß nicht

Spiritus: geistvoll in die Woche
Vergiß nicht
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Und mich darin. Mich im Sommer.

Eben komme ich aus den Urlaubstagen im Süden. Ich bin wieder in Niedersachsen. Noch eine Woche, dann beginnt der Alltag. Und wie jedes Jahr frage ich mich: Wie kann er anders werden, und wie kann ich anders werden? Sommerlicher? Freier? Lockere Schultern, weiches Haar.

Ich will ein Meer vor meinem Fenster. Jadegrün. Yves-Klein-Blau. Still. Aufgewühlt. Ich will das Geräusch der Wellen hören. Hinausgehen. Meine Füße im Sand. Meine Füße im Wasser. Ich will dort morgens sitzen - so lang, bis ich bereit bin für den Tag. Ich will dort abends sein, so lang bis alles forttreibt, und ich schlafen kann.

Ich will mich in mir. Still. Aufgewühlt. In einer Farbe, deren Namen ich nicht weiß. Ich will mich glücklich. Nach vielen Abschieden. Nach Pandemie, Krieg in Europa, 7. Oktober, Rechtsruck, Klimakatastrophe, Zukunftsangst. Nachdem ich mein Heimatlich-Sein in der evangelischen Kirche verloren habe. Ich kann mich nicht mehr an ihren Erfolgen und ihrem Konfetti freuen, ich kann mich nicht mehr um ihre Zukunft sorgen, seit ich weiß, dass ihr ihr Selbsterhalt, ihr Immobilienkonzept, ihr Gottesdienst, ihr Gemeindefest mit Kartoffelsalat, ihre Landeskirchenamts-Abläufe, ihre synodalen Redelisten wichtiger waren und oft immer noch sind als die Menschen, denen Gewalt angetan wurde.

Ich habe kein Meer vor meinem Fenster. Aber ein Dach, einen leeren Parkplatz und einen Baum. Er tanzt im Wind am Morgen. Und ich tanze mit ihm, die Kaffeetasse in der Hand.

Ich bin nicht glücklich. Aber ich will mich glücklich. Joyful.

Der Bibelvers für diese Woche, die heute beginnt, heißt: „Lobe den Herrn, meine Seele. Und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103,2) Ich schreibe ihn weiter:

Lobe G*tt, meine Seele. Und vergiß nicht, was sie dir Gutes tun wird. In Farben, die du jetzt noch nicht weißt. In Sommern, die du jetzt noch nicht kennst. In Tagen an Meeren, Schreibtischen, Betten. Lobe G*tt, meine Seele. Lobe ihren großen Sommer. Ihren leuchtenden Herbst. Lobe, was sein wird. Was kommt. G*tt will dich glücklich. Joyful. Dennoch. Grade. Gekrönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Lockere Schultern. Weiches Haar.

Wochenaufgabe für mich:
Glücklich sein. Trotz allem. So oft, wie es geht.
 

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