Daß es Dich gibt ist sehr unwahrscheinlich

Daß es Dich gibt ist sehr unwahrscheinlich
Ostern und die milliardenfachen Übungen der Natur im Sterben und Leben

Ostern

Du lebst. Du legst Deine Füße auf die Fensterbank während du telefonierst. Dein Gehirn hat ihnen das vorgegeben, weil du es wolltest. Ahnst du, wie viele elektrische Schaltungen dafür nötig waren? Wie viele Millionen Jahre vergehen mussten, bis Dein Körper das konnte?
 

Die Äste draußen winken mild hin und her. Dein Auge sieht sie und ihre Kontur. Ein Hund kann das nicht sehen. 

Im Treppenhaus quietscht das Nachbarkind. Deine Ohren waren fertig im Leib, bevor alles andere von dir überhaupt lebensfähig war. Es wird vermutlich auch in deiner letzten Stunde am besten funktionieren.
 

Du atmest die Luft. Wie viele Milliarden Fehlversuche brauchte die Natur der Lebewesen auf dem Weg vom Meer aufs Land? Und wie lange die Welt übte um Bäume hervorzubringen, dies Geäst. Es  spiegelt die Struktur Deiner Lunge. Alles Übungen, damit du jetzt atmen kannst, obwohl du vor kurzem im Bauch noch Kiemen hattest. 

Dein Herz schlägt schon etwa 12 Millionen mal seit Jahresbeginn, meist ohne zu mucken. Wie letztes Jahr. Wie die Jahre davor. 31 Millionen mal jedes Jahr.
 

10 Milliarden Kleinstlebewesen tummeln sich in diesem Moment allein auf Deiner Haut - ohne Dir zu schaden. Wie kriegt Dein Körper das hin?

200 Billionen Kleinstlebewesen bevölkern Deinen Darm, mehr als Du Körperzellen hast. Sie bilden zusammen Deine Hausapotheke, die dafür sorgt, dass die Viren und Bakterien auf deiner Haut und im Essen Dich nicht töten.

Es hätte auch alles anders kommen können. Es lief nicht auf uns Menschen hinaus. Das es mich gibt, ist extrem unwahrscheinlich. Es kann auch noch anders kommen, und wir waren für eine kleine Weile eine seltene Spezies im All. 

 

Deine Hände. Sie sind das Ergebnis unzähliger Anläufe der Natur zu greifen - und sie haben viel begriffen. Sie haben Dich klug gemacht an Brüsten, Geländern und Öfen. Sie kennen die Felsvorsprünge und den Schmelz der Haut.

Wie viele mussten sterben vor Dir, damit die Natur in immer neuen Anläufen lernte, wie es noch besser geht?

 

Bist du vielleicht solch ein virtuoser, unbegreiflich fein funktionierender Leib, weil so viele vor Dir gelebt, Neues gezeugt  haben und gestorben sind?

Sind wir Lebenden Ergebnis fortlaufender Übezeit der Natur für ihre Entwicklung?  Wäre Entfaltung überhaupt denkbar ohne den Tod?

Weisst Du, wie viele Fähigkeiten aller Toten, von denen Du abstammst Du in Dir vereinst? Vergiß nicht: Du stammst ab von Millionen.

 

Deine Hände könnten töten, aber tun es nicht.

Wie kommt es, dass sie nicht töten müssen?

Wer hat Dich dahin gebracht?
Vor 500 Jahren konnte man Dich im Wald niederstechen, ohne belangt zu werden. Töten war das Normale.

Viele Jahrhunderte brauchte es, bis man unterlassene Hilfeleistung justiziabel machte.
 

Ostern.
Auferstehung des Menschen.
Die biblischen Geschichten sagen etwas über den exemplarischen Menschen, Jesus Christus. So sehen es Christliche jedenfalls.
Auch er ist das Ergebnis unzähliger Übungen vorher auf der Suche nach Göttern, dann einem Gott, der kennt, was wir kennen: seligen, fruchtbaren, immunen, versehrten, geilen, vernarbten, tanzenden Körper. Sterblich. Geboren, weil andere geboren wurden und starben. Vorher war 'Gott' ein Phantom, körperlos.

Vielleicht ahnst Du allein deswegen schon, wie Gott sich einreiht in dies Absterben und Aufwachsen.  Alles vor Dir ist über sich hinaus gewachsen. Alles hatte eine Bedeutung für die nachfolgenden Lebenden. Nichts ist verloren. 

Es gibt eine Erbschaft der Gene, die auch das biografische Lernen einschließt. Du musst Dein Kind nicht mehr verprügeln wie es in Preußen noch Sitte war. Woher kannst Du das? Das ist nicht allein Dein Verdienst, das haben viele vor Dir erarbeitet, erlitten und erstorben.

Laßt uns zu Ostern auch von dieser permanenten Auferstehung reden,  vom unwahrscheinlichen Überleben und vom Überschuß der Natur, die immer weiter Zappelndes hervorbringt. Sie wird das sogar tun, wenn wir Menschen uns ausgerottet haben. Selbst daraus wird sie das Beste machen -  vielleicht eine neue Sorte Wesen, die es klüger anstellen.


Aber soweit ist es noch nicht. Wir feiern jetzt erstmal diese ungeheure Kraft, innerhalb derer wir als winzigste Wesen mitschwimmen, mit noch winzigeren Wesen auf und in uns, auf einem einzigartigen blauen Planeten, der winzig im All schimmert. Das sind die österlichen Größenordnungen.
Und an einer ganz kleinen Stelle in diesem Kosmos wird dann auch von Schuld und Sühne zu sprechen sein. Aber das stört die Wucht des Lebendigen nicht.

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