Wenn die Himmel erzählen

Wenn die Himmel erzählen
Salzburg! Festspiele! Und mittendrin die Brüder …

Gerade waren wir in Salzburg. Bei den Festspielen. Natürlich auch beim Jedermann, ergreifend gespielt von Lars Eidinger. Nicht auf dem Domplatz, da es regnete, sondern im Großen Festspielhaus, das bis auf den letzten Platz ausverkauft war. Was für ein Kampf, dieses Ringen mit dem Tod, dieser verzweifelte Versuch, das Leben festzuhalten und dem Tod ein paar Stunden abzutrotzen. Die "Jedermann!"-, "Jedermann!"-, "Jedermann!"-, "Jedermann!"-Rufe, die im Hofmannsthal‘schen Stück nur er hören kann, aus allen vier Himmelsrichtungen. Der Ruf des Todes, weil Gott Jedermann von seinem sündigen Thron stürzen will und ihn darum vors letzte Gericht zerrt. Eidingers verschreckter Blick. Der Todeskuss. Das Ende.

Noch immer bin ich ganz benommen. Vielleicht weil der Tod so oft vorkommt in meinem Leben und ich während der Aufführung immer wieder daran dachte. Zum Beispiel, als es darum ging, was Jedermann noch tun sollte, bevor er starb, und mein Bruder keine Zeit …

Wir sahen die Kinderoper "Vom Stern, der nicht leuchten konnte", mit Kostümen, die sich kaum beschreiben lassen. Ein herrliches Kontrastprogramm! Eine Märchenwelt mit Happy End. Eine Aufführung, bei der eine junge Solo-Altistin mitsang, Freya Apffelstaedt, die schon mehrfach bei unseren kleinen Chorkonzerten in München mitwirkte, beim Paulus von Mendelssohn etwa, und gerade ein hochverdientes Engagement an der Züricher Oper erhalten hat.

Und wir hörten Igor Levit.

Ein Solistenkonzert. Zwei Stunden. Ebenfalls im Großen Festspielhaus. Auch ausverkauft. Eindrucksvolleres habe ich nie gehört. Bewegenderes. Elementareres. Unnachgiebigeres. Trotzenderes. Lebendigeres.

Levit spielte Beethovens Symphonie Nr. 3 in der Klavierbearbeitung von Franz Liszt, der im Jahr 1876 notiert hatte: "Auf dem Klavier ein Orchester erklingen zu lassen, war bislang niemandem gegeben. Dennoch sollte man dem Ideal stets entgegenstreben, durch alle mehr oder minder abweisenden oder unzureichenden Zwischenstufen hindurch. Nur dazu taugen das Leben und die Kunst." Bis heute gilt die Version als unspielbar, als pianistische Unmöglichkeit.

Igor Levit spielte sie.

Und man hätte eine Stecknadel fallen hören können im Saal, so still war das Publikum, so gebannt. Niemand rührte sich. Nach der Pause Schubert und Prokofjew. Standing Ovation. Vorhang um Vorhang. Standing Ovation. Taumeln. Zauber. Kraft. Tränen. Begeisterung.

Igor Levit war ganz allein auf der großen Bühne gewesen, nur neben ihm ein junger Mann, der die Noten umblätterte, fast unsichtbar. Von der Decke schienen zwei Lampen auf den Pianisten. Immer wieder sah ich zu ihnen hoch. Und auf einmal kam es mir vor, als schauten meine Brüder durch sie hindurch. Es war, als hätten zwei Sterne das Firmament geöffnet. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden von den Lichtern, die doch bloß Technik waren, nur dazu da, den Künstler zu beleuchten, und darum völlig schmucklos waren. Für mich waren sie es nicht. Ich hörte die Musik. Ich sah die Brüder. Und Levit spielte nur für uns.

Im Himmel und in Salzburg.

Wie wahr der Psalm doch ist: Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und das Firmament kündet das Werk seiner Hände.

In Salzburg hatte Gott tatsächlich seine Hand im Spiel.

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